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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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es kalt draußen. Er ging hinüber zum Keller, wo ihn ein rotes Lämpchen anblinkte. Die Gastherme war aus. Leise fluchend ging er zurück in die Küche und nahm die Kanne Tee mit nach oben ins Arbeitszimmer. Wahrscheinlich war der Gastank leer, er hatte nichts mehr nachbestellt, es war schließlich schon Juni. Aber der Juni begann, wie er in dieser Gegend fast jedes Jahr begann: kalt und unfreundlich und ohne äußere Anzeichen dafür, daß es wie jedes Jahr einen Sommer geben würde.
    Seine Laune verbesserte sich nicht, als er auf der Treppe in die Sonnenbrille trat, die er gestern dort zwischengelagert hatte. Und natürlich war bei »Drachengas« besetzt, wie eigentlich meistens, wenn was dringend war. Er drückte auf Wahlwiederholung und lauschte, erst dem Wählton, dann dem Besetztzeichen. Besser, sich über die Zähigkeit der Verhältnisse in der Dienstleistungsgesellschaft zu ärgern, als über den Verbleib der Katzen nachzudenken. Er vermißte die Viecher, er vermißte sie mehr, als gut für ihn war.
    Schließlich ging sein Anruf durch. Statt des Besetztzeichens erklang nun die Badinerie aus Bachs h-Moll-Suite in einer gräßlichen elektronischen Version, die er nicht lange aushielt. Er tappte ins Bad, bemühte sich, beim Rasieren seinem eigenen Anblick auszuweichen, und versuchte es schließlich aufs neue. Die Laute aus dem Telefon hielten ihn wenigstens davon ab, auf das Geräusch zu warten, das die Katzenklappe machte, wenn eines der Tiere hindurchsprang. Endlich, als er schon damit rechnete, daß ihn demnächst eine Ansage auf die mindestens zweistündige Mittagspause des Betriebs aufmerksam machen würde, hatte er jemanden am Apparat. Eine junge Frau mit heller, kindlich wirkender Stimme, die ewig lange rückfragen mußte, bis sie ihm mitteilte, man könne erst übermorgen liefern.
    Bremer hätte fast gelacht, wenn er nicht so abgrundtief wütend und frustriert gewesen wäre. Nach einer halben Stunde Holzhacken war ihm warm, dafür allerdings belagerten ihn die abgründigsten Vorstellungen. Zum Beispiel darüber, was ein Mensch, der Molotowcocktails in einen unbescholtenen Holzschuppen wirft, wohl mit lebenden Kreaturen anstellt.
    Wilhelms Anruf kam wie eine Erlösung. Der alte Kerl hatte wie üblich jede Menge Ideen, was dem Gemeinwohl dienlich sein könnte. Bremer stürzte sich in die Arbeit und vergaß für ein paar Stunden seine trostlosen Gefühle. Dabei vergaß er auch noch zwei Banküberweisungen, einen Telefonanruf und nicht zuletzt das Päckchen für Krista, das, als er am späten Nachmittag zurückkam, noch immer auf dem Küchentisch lag. Er klemmte es unter den Arm und lief den Friedhofsweg hoch. Auf der Höhe des Friedhofs glaubte er, aus den Augenwinkeln eine Bewegung zu sehen. Schon waren alle Hoffnungen und Ängste wieder da. »Nemax?« Er rief leise. Aber im Grunde seines Herzens glaubte er nicht, daß es die Katzen waren, die sich hinter Kristas Haus ins Gebüsch verkrochen. Hoffentlich kommt nicht irgendwer auf die Idee, die schöne Sache mit dem Brandsatz bei Krista zu wiederholen, dachte er noch.
    Als Krista die Haustür aufmachte, sah er, daß sie geweint hatte. Sein Mißtrauen verflog. Und es war verdammt tröstlich, sie im Arm zu halten, was im übrigen entschieden einfacher war, als etwas zu sagen. Sollte er vielleicht »Alles wird wieder gut!« murmeln? Manches wird nie wieder gut. Und Thomas Regler hatte mit dem Leben dafür bezahlt, daß er für sie eingestanden war.
    Da war es wieder, das Mißtrauen. Als ob sie so etwas gespürt hätte, spannten sich ihre Muskeln. Sie hob den Kopf. In diesem Moment sah er einen Schatten im Hintergrund. Seine Reflexe hatten keine Zeit, den Körper zu alarmieren. Es knallte, als ob etwas zerbarst. Und dann traf es ihn hart an der Schulter.
    Krista lief mit einem Aufschrei ans Fenster. Die eine der beiden Fensterscheiben war zersplittert, Glasscherben glitzerten auf dem Sims, ein scharfer Zacken steckte noch im Rahmen. Bremer hob den Stein auf, der ihn getroffen hatte. Es war ein roter, poröser, scharfkantiger Klinker. Die Wut, die in den letzten Stunden abgeflaut war, kehrte zurück. Er hatte keine Lust auf die Vorstellung, daß sich in seinem kleinen überschaubaren Kuhkaff ein Irrer herumtrieb, der Brandsätze und Steine durch Fenster warf.
    Er war aus der Haustür, bevor Krista sich wieder umgedreht hatte. Mit dem Stein in der Hand lief er den Weg hoch, Richtung Friedhof. Er war außer Atem, als er stehenblieb. Er hatte niemanden

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