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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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gegen ihre Eltern habe aufhetzen wollen? Ob sie nicht ihre Fürsorgepflicht vernachlässigt habe?
    Die Eltern der beiden Täter sammelten Unterschriften gegen die Lehrerin. Die Eltern des Opfers nannten die Täter kleine Nazis, was sich auch nicht nach Unterstützung der Lehrerin anhörte. Karla Becker hatte offenbar noch während des Prozesses Bad Moosbach und das Grotius-Gymnasium verlassen. Das Disziplinarverfahren gegen sie kam zum Urteil, daß sie für die Tat nicht haftbar zu machen sei, andererseits wurden Zweifel an ihrer pädagogischen Qualifikation geäußert.
    Karen Stark legte die Mappe beiseite und griff wieder zur Prozeßakte. Sie blätterte sich zum Urteil vor. Die beiden Jungen waren zu Haftstrafen verurteilt worden, Peter zu acht, Johannes zu sieben Jahren, da Peter gestanden hatte, den entscheidenden Schlag ausgeführt zu haben, der Martin Brandt tötete. Die beiden waren wahrscheinlich nach Mendlingen oder Falkenburg verbracht worden.
    Karen lehnte sich zurück und rechnete. Wenn sich die beiden manierlich benommen hatten, waren sie spätestens nach fünf, sechs Jahren wieder entlassen worden, also Mitte der achtziger Jahre. Zeit, um aus dem Leben noch etwas zu machen.
    Als sie den Aktendeckel schließen wollte, flatterte ein Zeitungsausschnitt zu Boden. Sie bückte sich, hob ihn auf und strich ihn glatt. Das Datum: 11. März 1985. Es war bekannt geworden, hieß es in dem Artikel, daß man Johannes v. Braun entlassen wollte. Daraufhin organisierte die Mutter des kleinen Martin Brandt eine öffentliche Kampagne gegen die Freilassung eines, wie sie formulierte, »Kindsmörders, der wieder zuschlagen wird«. Keine zwei Monate würde der Zwanzigjährige die frischgewonnene Freiheit überleben, spekulierte der Verfasser des Zeitungsberichts. Sabine Peters, wie die Frau nach Scheidung und erneuter Eheschließung mittlerweile hieß, forderte alle, die ähnlich dachten wie sie, dazu auf, Postkarten entsprechenden Inhalts an die Behörden zu richten. Und wer dachte in diesen Dingen nicht wie eine ihres Kindes beraubte Mutter?
    Dennoch hatte jemand die Kampagne als Aufhetzung zur Selbstjustiz aufgefaßt und Anzeige gegen die Peters erhoben. Die Zeitung hatte ein Foto abgedruckt, auf dem man das Gesicht einer Frau mit kurzen blonden Haaren sah, ein Gesicht, das nach vielen Zigaretten und schlaflosen Nächten aussah. Ein Gesicht voller Frustration und Lebensekel.
    Die beiden Jungen hatten offenbar überlebt. Zu seinem Schutz hatte man Johannes v. Braun einen neuen Namen gegeben. Wenn er sich in den nächsten zehn Jahren gesetzestreu verhalten hatte, würde heute niemand mehr in Erfahrung bringen können, was er als Vierzehnjähriger getan hatte. Die Strafe würde längst aus allen Registern getilgt sein. Johannes v. Braun war Geschichte.
    Manfred Wenzel guckte zur Tür herein, registrierte das Chaos auf ihrem Schreibtisch, schüttelte den Kopf und verschwand wieder.
    Sie mußte aufhören, sich mit diesem Fall zu beschäftigen. Er hielt sie von der Arbeit ab und machte schlechte Laune. Er war ihr unheimlich. Und trotzdem ertappte sie sich bei dem Wunsch, wissen zu wollen, was aus den beiden Jungen geworden war. Anfrage beim Zentralregister? Dann würde sie einen guten Grund vorweisen müssen. Und den hatte sie nicht, außer einem vagen Zusammenhang mit einem Fall, der sich durch den Tod der Beteiligten mehr oder weniger erledigt hatte.
    Du bist nicht ausgelastet, spottete es in ihr. Dann rief Eva Daun an, und H2O bat sie um einen Gefallen. Und plötzlich war Feierabend. Als sie mit dem Auto die Tiefgarage verließ, hing über ihr ein trüber Himmel.

37
    Klein-Roda
    B remer schreckte hoch. Er horchte angestrengt auf die Atemzüge der anderen Jungen, auf das leise Schnarchen von Gerd und Manfred und Jo, bis er endlich begriff, daß er nicht in Rabenau war und auch nicht mehr dreizehn. Er sah auf den Wecker. Es war viel zu früh, und er war viel zu müde. Aber er wollte ums Verrecken nicht zurück in diesen Traum von barbarischen Jungenscherzen und einem kalten dunklen Haus voller Gerüche und Geräusche. Also stolperte er die Treppe hinunter in die Küche. Als sein Blick auf die gefüllten Freßnäpfe der Katzen fiel, unberührt seit gestern abend, war er wieder in der Gegenwart.
    Im ganzen Haus hing noch der Gestank von geschmolzenem Plastik und angekokeltem Holz. Der Blick aus dem Fenster zeigte einen blaßblauen Himmel, an dem Wolkenfetzen über die Sonne jagten. Der Temperatur im Haus nach zu urteilen, war

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