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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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anrufen, dachte er und nahm Birdie auf den Arm. Die Kleine sah ein bißchen verhungert und sehr verstaubt aus. Nemax saß noch immer vor seinem Freßnapf und verschlang Putenhäppchen in heller Soße. Birdie roch nach Stall. Die beiden mußten irgendwo eingesperrt gewesen sein. »So kann es einem gehen, wenn man sich herumtreibt«, murmelte er und kraulte die Kleine unter dem Kinn.
    Sie gab einen fragenden Zwitscherlaut von sich. Er wünschte sich nicht zum ersten Mal, daß Katzen sprechen könnten. Oder, besser gesagt, daß er sie verstünde.
    Er verbrachte den Tag mit angenehm nutzlosen Tätigkeiten, putzte Fenster, ölte die Gartenbänke und jätete im Gemüsegarten, was beide Katzen als Aufforderung ansahen, nach kältestarren Hummeln zu springen und in der feuchten Erde zu wühlen.
    Irgendwann öffnete sich das Fenster im Nachbarhaus. »Wird Zeit«, rief Marianne. Er nickte, ging hinein, duschte, bürstete sich die Fingernägel und zog eine saubere Jeans an.
    Zur Jahreshauptversammlung der Freiwilligen Feuerwehr kamen alle. Anfangs hatte er Freunden aus der Stadt noch vom lebendigen Gemeinsinn seiner Nachbarn vorgeschwärmt. Heute kannte er die Mittel, mit denen man auf dem Dorf Tugend verstärkte: Freibier und Schweinebraten. Die Frauen buken und kochten seit Tagen. Marie war seit gestern im Backhaus beschäftigt, Marianne hatte den ganzen Tag in der dampfenden Küche gestanden, was ihre Haare zum Heiligenschein aufgeplustert hatte. So wurde Pflicht zur Orgie. Bremer schloß sich dem Zug von Gottfried und Marie und Christine und Jan zum Dorfgemeinschaftshaus an. Vor seinem inneren Auge entstand das Bild eines kühlen, frischgezapften Bieres.
    Davor aber stand die Tagesordnung. Nach der Eröffnung und Begrüßung gab es den Bericht des Vorsitzenden und Wehrführers – Werner Heise hielt sich wie immer erfreulich kurz. Dann kamen die Berichte von Rechner und Kassenprüfer, etwas, das naturgemäß niemanden interessierte, weshalb Willi sich viel Mühe gab, das Publikum durch launige Zoten bei Stimmung zu halten.
    Dann wurde entlastet und neu gewählt. Bremer hob die Hand immer dann, wenn Willi es tat. Diese Methode der praktischen Demokratie hatte sich bewährt. Und endlich wollte er sich erheben, um die Bar zu stürmen, als Marianne ihn am Arm packte und wieder auf den Stuhl zog. »Tagesordnungspunkt 8«, flüsterte sie und zeigte mit dem Finger auf die Agenda. »Ehrungen«. Bremer stöhnte auf und setzte sich wieder.
    Werner Heise bemühte sich feierlich zu gucken, als er das neue Ehrenmitglied vorstellte. Der alte Wilhelm. Der Dorfvorsteher stotterte vor Rührung, als er mit Handschlag in den würdigen Kreis der Ehrengreise aufgenommen wurde. Danach gab es Grußerklärungen aus Rottbergen und Ebersgrund und dann kam der letzte Punkt. »Verschiedenes«.
    Bremer guckte sich um. Die Anwesenden, deren Mehrheit seit einer halben Stunde das Gähnen unterdrückte, saßen plötzlich aufrecht da und blickten mit gebremster Neugierde zum Vorstandstisch. Es war wie bei einer Ortsbeiratssitzung: Unter »Verschiedenes« konnte jeder sein Ei legen, und wenn sich nur ein lange unterdrückter Mitteilungsbedarf Bahn brach.
    Insbesondere die Älteren meinten, wertvolle Lehren aus vergangenen Zeiten unters Volk bringen zu müssen. Der alte Knöß berichtete mit blitzenden Augen und hochrotem Kopf über seine Erfahrungen mit Brandbomben und wie man sie am besten unschädlich machte. Krieg war zwar gerade anderswo, aber man konnte ja nie wissen.
    Als Harry sich zu Wort meldete, stießen die Beckers einander die Ellenbogen in die Seiten und grinsten erwartungsvoll. Wenn er in Stimmung war, glänzte Harry durch launige Beiträge, in denen Schwiegermütter und Rechtsanwälte eine prominente Rolle spielten. Aber heute blickte der Mann ungewöhnlich ernst.
    »Ich sag’s nicht gern«, sagte Harry und blickte in die Runde. Nur an Bremer und Marianne sah er vorbei.
    »Aber einer muß es ja sagen.«
    Einer muß den Bluthund machen, dachte Bremer unvermittelt. Irritierenderweise spürte er einen seltsamen Druck in der Magengegend.
    »Es gibt in der letzten Zeit Vorkommnisse, die uns zu denken geben sollten. Jemand treibt sein Unwesen in unserem schönen Dorf.«
    Richtig, dachte Bremer. Und ich würde das Schwein, das mein Fahrrad angezündet und meine Katzen eingesperrt hat und mich mit Steinen beschmeißt, lieber früher als später kennenlernen.
    »Ihr wißt, wie gefährlich Brandstiftung ist. Gemeingefährlich.«
    Alle nickten. Dazu war

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