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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
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erkennen. Durch den Nebel erschienen sie einander wie zwei verblasste, verblassende graue Fotos.
    »Wir drehen um«, erklärte Zoe.

4
    Jetzt funktioniert das blöde Ding wieder.« Jake saß im Hotelzimmer am Tisch und spielte mit dem Kompass herum. So oft er ihn auch drehte und verrückte, immer zitterte die Nadel erst leicht, drehte sich dann und zeigte unbeirrt auf den magnetischen Norden.
    Zoe spähte aus dem Fenster, fast wie in Trance. »Es klart auf. Ein bisschen wenigstens.«
    »Ich kann mir das nicht erklären. Warum funktioniert der denn jetzt auf einmal wieder?«
    Zoe wollte, dass er aufhörte, ununterbrochen über den Kompass zu reden. Sie war nämlich der Meinung, selbst um einem funktionierenden Kompass folgen zu können, musste man sehen, wo man hinlief.
    »Es ist fast wie eine Verschwörung«, meinte Jake, »um uns hier festzuhalten. Sieh dir das an: Das Drecksteil funktioniert einwandfrei.«
    Zoe fuhr auf. »Schau dir diesen Saustall hier doch mal an! Immer, wenn man ein Zimmermädchen braucht, ist keins zu finden. Komm schon – hilf mir, ein bisschen aufzuräumen.«
    »Warum? Wir bleiben doch sowieso nicht hier.«
    »Vielleicht doch, zumindest für eine weitere Nacht.«
    Prüfend schaute er aus dem Fenster. »Du hast selbst gesagt, dass es aufklart. Und selbst wenn wir hierbleiben, können wir doch einfach ein anderes Zimmer nehmen.«
    »Tu, was du willst. Ich räume jetzt auf.«
    Und damit begann Zoe, die Tabletts, die sie aus der Küche heraufgebracht hatten, mit schmutzigem Geschirr zu beladen. Über dem Mülleimer kratzte sie die Essensreste von den Tellern und stapelte dann die leeren Teller und das übrige Geschirr mitten auf dem Tisch, wo Jakes Kompass eindeutig anzeigte, wo Norden war. Jake legte das Instrument beiseite.
    Dann machte Zoe sich daran, Bettdecken und Laken vom Bett zu ziehen. »Hilf mir mal, das Bett zu machen.«
    »Ich weiß wirklich nicht, warum du das Bett machen willst, wenn …«
    Weiter kam er nicht, denn die Luft vibrierte leicht, und dann schüttelte ein Beben das ganze Hotel. Die Schranktüren sprangen auf, und die Türen des Fernsehschränkchens zitterten in ihren Messingangeln. Zoe erstarrte und schaute Jake an.
    Dann hallte ein gewaltiges, Unheil verkündendes hohles Ächzen von weit oben am Berghang zu ihnen herunter. Das Hotel erbebte in seinen Fundamenten; dann war ein Dröhnen zu hören und danach ein Beben wie von einem Einschlag, das sich anfühlte, als hämmerte etwas gegen das Firmament oder die Grundfesten des Lebens selbst.
    »Hierher!«, schrie Jake. »Hierher!«
    Hektisch krabbelte Zoe über das Bett zu ihm. Er schlang die Arme um sie, warf sie zu Boden und drückte sie so nahe er konnte an das Bett. Das Dröhnen erschütterte das Hotel und hörte dann unvermittelt auf.
    Beide lagen sich in den Armen und atmeten heftig.
    »Ist es vorbei?«, flüsterte sie.
    »Ich glaube schon.«
    »Können wir wieder aufstehen?«
    »Möglich.«
    »Was war das?«, fragte sie und machte dabei keinerlei Anstalten, vom Boden aufzustehen.
    »Eine Lawine. Ein richtig dicker Brummer. Komm, lass uns aufstehen.«
    Sie rappelten sich auf und nahmen sich dann noch mal lange in die Arme.
    »Tja, jetzt wissen wir auch, warum sie den Ort geräumt haben«, meinte Jake.
    »Das wussten wir doch auch vorher schon, oder?«
    »Ja, das wussten wir auch vorher schon. Wir haben es bloß nicht so recht wahrhaben wollen.«
     
    »Ich glaube, es hat so weit aufgeklart, dass wir einen neuen Versuch starten können«, sagte Zoe.
    Jake warf einen Blick aus dem Fenster. »Da bin ich mir nicht so sicher.«
    »Wir bleiben doch nicht einfach hier sitzen und warten ab, bis der Schnee den ganzen Ort wegfegt. Das kommt gar nicht in die Tüte. Pass auf, warte mal kurz.«
    »Wo willst du hin?«
    »Ich bin gleich wieder da. Bleib ganz ruhig.«
    »Ich bin ruhig. Wenn ich noch ruhiger wäre, würde ich schlafen. Himmel, ich bin echt so was von verdammt ruhig.« Und damit griff er wieder nach dem Kompass.
    Zoe schlüpfte zum Vordereingang des Hotels hinaus, und tatsächlich schneite es nur noch ganz leicht. Sie hatte die Hände in den Jackentaschen vergraben und spielte mit dem Schlüssel des Polizeiautos herum. Sie wusste, dass ihr keine andere Wahl blieb, als allein loszugehen und das Auto zu holen, ohne ihm Bescheid zu sagen; Jake würde niemals zulassen, dass sie sich dermaßen in Gefahr brachte.
    Tatsächlich hatte der Nebel sich gelichtet, und es schneite nur noch ganz leicht. Die Sicht war gut – oder

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