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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
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zumindest gut genug – zum Autofahren, und außerdem war es ohnehin äußerst unwahrscheinlich, dass sie auf dem Weg in den nächsten Ort anderen Fahrzeugen begegnete. Blieb also nur das winzig kleine Problem, das Auto von dem Abhang weg wieder auf die Straße zu bugsieren.
    Sie ging ein bisschen schneller. Sie wusste genau, wo das Polizeiauto von der Straße abgekommen war, weil sie an diesem Morgen schon zweimal daran vorbeigekommen waren: einmal auf dem Weg hinaus, bei ihrem missglückten Versuch, den Ort zu verlassen, und dann noch einmal auf dem Weg zurück. Es dauerte keine zwanzig Minuten, da konnte sie schon die schneebedeckten Umrisse des Wagens weiter oben auf der Bergstraße erkennen.
    Aber außer dem Auto war da noch etwas, etwas, das sie zunächst nicht genau erkennen konnte. Zwei zylindrische schwarze Schatten ragten auf dem Dach empor, rabenschwarz vor dem Weiß des Schnees. Zoe blieb kurz stehen und versuchte mit zusammengekniffenen Augen, die undeutlichen Umrisse auszumachen. Aber sie konnte einfach nicht erkennen, was das war, und ging noch etwas schneller auf den Wagen zu.
    Als sie sich näherte, bewegte sich einer der beiden Schatten ein wenig, oder zumindest schien es so. Es war kaum mehr als ein unmerkliches Rücken nach rechts. Je näher sie kam, desto langsamer wurde Zoe, und dann ging ihr zu ihrem Erstaunen auf, dass sie es mit zwei großen, schlanken schwarzen Krähen zu tun hatte, die sich auf dem Autodach niedergelassen hatten.
    Womöglich hätte es sie freuen sollen, die Vögel zu sehen. Schließlich waren das die ersten lebenden Wesen, die sie seit dem Lawinenabgang zu Gesicht bekommen hatte. Aber irgendwie wirkten diese beiden Tiere desinteressiert und zugleich vage bedrohlich. Zoe wusste, wenn sie auf die beiden zuging, würden die Vögel sicher sofort auffliegen und verschwinden. Aber sie wirkten ungewöhnlich groß.
    Unvermittelt stieg Ekel in ihr auf und mit ihm ein Anflug von Furcht.
    Entschlossen klatschte sie in die Hände, um die Krähen zu verscheuchen. Doch ihre Skihandschuhe dämpften das Geräusch, also zog sie sie aus, versuchte es erneut und klatschte laut, während sie zögerlich einen Schritt auf die Vögel zumachte. Eines der beiden Tiere regte leicht die Flügel und schien nach etwas unter seinen Federn zu picken. Beide zeigten keinerlei Anzeichen von Angst.
    Zoe war kaum mehr als vier oder fünf Meter von ihnen entfernt, war aber wie angewurzelt stehen geblieben. Um ehrlich zu sein, machten die beiden Vögel ihr eine Heidenangst. Ungerührt beobachteten die Krähen sie von ihrem Aussichtspunkt auf dem Autodach. Eine der beiden sperrte den Schnabel auf, als erwarte sie, gefüttert zu werden. Das Bild des Tiers mit dem aufgerissenen Schnabel war so eigenartig klar und deutlich, dass sie fast an eine Sinnestäuschung glaubte. Der aufgesperrte Schlund des Vogels wirkte wie eine kleine Höhle, und in der Höhle war ein silberner Fluss, der sich hinab in die dunkle Tiefe schlängelte. Der Vogel gab ein seltsames Husten von sich.
    Zoe stampfte mit dem Fuß auf, fuchtelte wild mit den Armen und rannte auf die Krähen zu. Fast schon widerwillig verließen sie ihren Aussichtsplatz, ließen sich vom Autodach fallen und flogen schwerfällig flatternd davon. Mit ausgebreiteten Schwingen glitten sie zu Tal und waren schnell im Nebel verschwunden.
    Zoe starrte ihnen hinterher. Sie musste sich schütteln, fast wie um sich aus einer Trance wachzurütteln.
    Dann fiel ihr ein, dass sie im Kofferraum des Wagens eine Schaufel gesehen hatte. Sie kramte den Schlüssel aus der Tasche und öffnete den Kofferraum, holte die Schaufel hervor und fegte damit den Schnee von der Windschutzscheibe, der Motorhaube und dem Heckfenster. Dann warf sie die Schaufel wieder in den Kofferraum und schlug ihn zu. Sie ging vorn um das Auto herum und legte ihr gesamtes Gewicht auf das in der Luft schwebende Vorderrad. Der Wagen schaukelte ein wenig, aber nicht viel. Sie versuchte es abermals, diesmal mit mehr Nachdruck. Und kam zu dem Schluss, dass sie es riskieren könne, einzusteigen und den Motor zu starten. Sie ging davon aus, dass nichts passieren würde, solange sie sich beim Schalten keinen dummen Fehler erlaubte.
    Vorsichtig schlüpfte sie auf den Fahrersitz und wartete kurz ab. Das Fahrzeug lag ganz ruhig. Die Handbremse war angezogen, die Gangschaltung im Leerlauf. Also steckte sie den Schlüssel ins Zündschloss und drehte ihn um.
    Der Dieselmotor stotterte und soff ab. Es brauchte einige

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