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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
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Schlückchen davon trinkt?«
    »Ich habe nichts gesehen.«
    »Danke.«
    Krankenschwestern und Soldaten, dachte Jake. Sie sehen alles und tun doch, als sähen sie nichts.
    Peter war als Soldat einer Spezialeinheit im Krieg gewesen. Als Offizier der Eliteeinheit der Spezialkräfte SAS hatte er im Winter 1944/45 in den Bergen Norditaliens hinter den feindlichen Linien die Operation Pepino befehligt. Zweiunddreißig Mann waren am helllichten Tag mit Fallschirmen abgesprungen. Ihre Anweisung lautete, sich möglich auffällig zu verhalten und zu tun, als rolle gerade eine wesentlich größere Aktion an, als es tatsächlich der Fall war. Sie sollten die feindlichen Truppen ablenken, die das Vordringen der alliierten Streitkräfte verhinderten. Die Operation war erfolgreich, und die Deutschen stellten nichts ahnend Tausende Soldaten ab.
    Es war ein harter Winter, und sie wurden in Nahkämpfe mit italienischen Faschisten wie mit deutschen Soldaten verwickelt. Peter brachte achtzehn seiner zweiunddreißig Mann wieder nach Hause, oder, wie er immer sagte – hatte vierzehn gute Männer verloren. Und irgendwie war er nun wieder dort, in den schneebedeckten italienischen Bergen.
    Jake ging zurück in das Krankenzimmer. Sein Vater schien eingeschlafen zu sein. Jake nahm den Brandy sowie zwei Pappbecher heraus und stellte sie auf das Nachtschränkchen. Dann setzte er sich auf den Plastikstuhl, legte die Hände auf die Knie und betrachtete seinen schlafenden Vater.
    Fünf Minuten später schlug Peter die Augen auf und sagte: »Ruf deinen Onkel Harold an. Ich habe ihm vor Jahren mal ein paar Tausend geliehen. Die sollst du haben. Ich brauche sie nicht, aber du sollst sie haben.«
    »Harold ist schon lange tot, Dad. Schon lange.«
    Peter hob den Kopf. »Wirklich?«
    »Seit fünfzehn Jahren.«
    »Gütiger Himmel. Mir sagt auch keiner mehr was. Ich bezweifle, ob wir das Geld jemals wiedersehen.«
    »Lass es gut sein, Dad.«
    Peter rümpfte die Nase. »Ich nehme eine Traube.«
    »Ich habe sie schon gewaschen«, sagte Jake. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Und er reichte seinem Vater die Trauben.
    Peter lehnte sich zurück und aß ein paar Trauben, die er ganz langsam und bedächtig kaute, während er unverwandt an die Decke schaute. So vergingen vielleicht zwanzig Minuten.
    Schließlich sagte Peter: »Wo ist Charlie? Ich mache mir furchtbare Sorgen um Charlie.«
    »Charlie ist nicht mehr da, Dad.«
    »Nicht mehr da? Aber eben war er doch noch hier.«
    »Dad, hör mal, du bist im Krankenhaus.«
    »Was?«
    »Im Warwick Hospital. Du wirst gegen Krebs behandelt, und es wird alles wieder gut.«
    »Was?«
    »Zoe kommt dich morgen besuchen.«
    »Zoe? Zoe ist doch deine Frau.«
    »Richtig.«
    Mühsam richtete Peter sich auf. Es war ein Kampf, und er verzog das Gesicht, als er sich beschwerlich aufrappelte. Dann schaute er sich in seinem Zimmer um, als sehe er es zum ersten Mal. »Ich habe Krebs.«
    »Ja, Dad. Aber du schlägst dich tapfer.«
    »Lügner.«
    »Du schlägst dich gut. Eben habe ich noch mit der Oberschwester gesprochen. Sieh mal, ich hab dir ein Schlückchen Cognac mitgebracht. Von dem richtig guten Zeug.«
    »Cognac. Du bist ein Held, Junge. Ein Held.«
    Jake stand auf und goss zwei – diesmal großzügig bemessene – Fingerbreit Cognac in die Pappbecher. Den einen Becher reichte er seinem Vater, der einen ordentlichen Schluck davon nahm. Dann wurde schwungvoll die Tür geöffnet.
    Eine Dame Mitte vierzig mit flotter Kurzhaarfrisur kam herein, in der einen Hand ein Klemmbrett, in der anderen einen Kugelschreiber, mit dem sie aufgedreht herumklickte. Sie trug einen eng sitzenden dunklen Hosenanzug mit einem scharlachroten Gürtel wie ein Band aus Blut. Ihre übertrieben muntere Mimik hatte fast etwas Pantomimisches. »Hal-lo, hal-lo! Wie geht es uns denn heute?«
    »Uns geht es gut«, antwortete Jake. »Danke.«
    »Na, das ist ja prima und ganz wunderbar«, trompetete sie, »denn ich nehme gerade Wünsche für WHP entgegen.«
    »Wünsche?«
    »Wer zum Henker sind Sie?«, blaffte Peter sie an. »Wer zum Henker hat Sie hier reingelassen?«
    Jegliche Munterkeit war schlagartig aus dem Gesicht der Dame verflogen. Bemüht richtete sie all ihre Aufmerksamkeit auf Jake. »WHR. Warwick Hospital Radio. Ich stelle eine Wunschliste auf, und heute Abend spielen wir dann die Musikwünsche unserer Patienten.«
    »Sie unerträgliches dämliches Weibsstück.«
    Jake sagte: »Mein Vater mag Sinatra ganz gerne. So was in der

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