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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
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hat.«
    Jake berichtete von Peters Wahnvorstellungen, wieder in den italienischen Bergen zu sein. »Er ist auf Zeitreise. Mal ist er hier, mal ist er dort.«
    »Was glaubst du, warum es ihn ausgerechnet dorthin zurückzieht?«
    Jake schüttelte den Kopf. »Vermutlich war das die schlimmste Zeit seines Lebens. Und dann die Schuldgefühle. Er musste einen seiner eigenen Männer töten.«
    »Hat er dir das erzählt?«
    »Es ist rausgekommen. Ich weiß nicht, ob du morgen mitkommen solltest. Bei mir war er ganz okay, aber jedes Mal, wenn eine Frau ins Zimmer kam, ist er regelrecht ausgerastet. Ich meine, die Luft hat gebrannt.«
    »Ich komme schon damit klar.«
    »Ich meine nicht ein bisschen außer sich. Ich meine vollkommen durchgeknallt.«
    »Ich muss mitkommen. Schließlich hat er nach mir gefragt, oder? Ich muss hin.«
     
    Am nächsten Abend fuhren sie gemeinsam ins Krankenhaus. Die Krankenschwester erzählte ihnen, Peter habe keinen guten Tag gehabt. Als sie hineingingen, glaubte Jake, ein Miasma spüren zu können, eine wolkige Trübung, die er am Tag zuvor noch nicht bemerkt hatte. Zuerst schien es, als schliefe Peter, doch dann schlug er die Augen auf.
    »Es sieht schlecht aus«, meinte er.
    Jake wusste nicht, ob er damit den Krebs meinte oder die Lage in den Bergen. »Du bist ein Kämpfer, Dad«, sagte er. »Du warst immer schon ein Kämpfer.«
    Peter schien darüber nachzudenken.
    Zoe trat an sein Bett. »Hallo, Dad.« Sie hatte ihn immer Dad genannt, genau wie Archie, und Peter hatte das immer gemocht.
    »Zoe«, sagte er und ließ sich von ihr einen Kuss geben. »Ich habe mir so gewünscht, dich zu sehen.«
    »Tja, da bin ich. Wie geht es dir?«
    »Ich hab große Schmerzen. Da hilft auch das Morphium nicht mehr. Und manchmal weiß ich nicht, wo ich bin. Und dann würde ich am liebsten weinen. Aber davon wollen wir nichts wissen, stimmt’s?«
    »Nein, bestimmt nicht«, meinte Zoe. Sie setzte sich auf die Bettkante und strich ihm über das Haar. »So. Jetzt sind wir für dich da.«
    »Nicht so wichtig. Ich habe was Wichtiges zu sagen, aber es ist mir einfach entfallen. Was sagt man dazu?«
    Schweigend warteten sie darauf, dass die Erinnerung zurückkehrte.
    Dann setzte Jake sich auf den Plastikstuhl und sagte: »Hast du gestern Abend den Krankenhaussender gehört?«
    »Was?«
    »Sie haben dir deinen Wunsch erfüllt. Frank Sinatra. Den haben sie nur für dich gespielt.«
    Peter schaute Zoe an und lachte, obwohl das Lachen ihm wehtat. »Der ist völlig verrückt, was? Was um alles auf der Welt redet er denn da? Ich weiß nicht, wie du diesen Kerl je heiraten konntest.«
    »Ist mir auch ein Rätsel, Dad«, entgegnete sie.
    »Ach ja, das war es. Mir ist wieder eingefallen, was ich sagen wollte. Bleib bei ihm, um seinetwillen. Bis dass der Tod euch scheidet und so. Bleib bei ihm. Du bist die Rettung gewesen für ihn. Wirklich wahr.«
    »Ach?«
    »Das war es. Und ich wollte dich um etwas bitten. Eine kleine Umarmung. Von dir. Nur eine kleine Umarmung.«
    »Die bekommst du, Peter.«
    Zoe rückte noch ein bisschen näher heran, bis sie die Arme um ihn legen konnte, und lehnte dann die Wange gegen die Bartstoppeln in seinem Gesicht. Jake schaute von seinem Plastikstuhl zu. Sie umarmten sich vielleicht zehn oder zwölf Sekunden lang, und währenddessen schnippte Peter mit den Fingern Zoes Haare beiseite.
    »Das reicht«, sagte er.
    »Darf ich dich auch umarmen?«, fragte Jake.
    »Nicht männlich.«
    »Okay.«
    Danach war Peter nicht mehr allzu gesprächig. Zoe und Jake gaben sich alle Mühe, ein Gespräch in Gang zu bringen, und plapperten über Dinge, die ihn vielleicht interessieren könnten. Aber er schien den Klauen seiner unfreiwilligen Zeitreisen entkommen zu sein, und dafür war Jake sehr dankbar. Er wollte nicht noch einmal nach draußen gehen und Charlie eine Kugel in den Kopf jagen müssen.
    Nach einer Weile schlief Peter ein, und sie gingen. Das Krankenhaus würde ihnen Bescheid sagen, sollte sich etwas an seinem Zustand verändern. Auf dem Weg nach Hause fuhr Zoe.
    »Hast du das gerochen?«, fragte Jake sie während der Fahrt.
    »Was soll ich gerochen haben?«
    »Vielleicht war es auch gar nichts.«
    Sie kamen zu Hause an, und gerade, als Jake den Schlüssel ins Türschloss steckte, hörte er das Telefon klingeln. Das Krankenhaus war dran und teilte ihnen mit, dass Peter gerade sanft entschlafen war.

14
    Jake stand am Fenster ihres Hotelzimmers.
    »Was gibt’s denn da zu sehen?«, wollte Zoe

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