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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
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Studienzeit hatte er eine Vorliebe für eine derbe Mischung aus Heiligem und Profanem entwickelt. Hardcore-Fluchen und Blasphemie vom Feinsten. Gerne sagte er, Herrgott Scheiß H. im Himmel, ohne zu wissen, wofür das »H« überhaupt stand. Einmal hing eine Schranktür in der Küche seines Vaters schief in den Angeln, und als Jake sie reparierte, rutschte ihm der Schraubenzieher ab und schlitzte ihm die Hand auf, und er hatte gebrüllt: Fotze verfluchter Pharisäer, was er als ehemaliger Sonntagsschüler und Chorjunge sowohl aussagekräftig als auch einfallsreich fand.
    Sein Vater, der danebengestanden und alles mit angesehen hatte, zuckte kaum mit der Wimper und verließ wortlos die Küche.
    Einen Moment später ging Jake hinterher und fand ihn im Wohnzimmer, wo er schmallippig mit dem Staubsauger den Teppich bearbeitete. Jake schaltete den Sauger aus, indem er den Stecker aus der Wand zog, und zeigte Peter die klaffende Wunde an seiner Hand.
    »Was hätte ich denn deiner Meinung nach sagen sollen? O Jehova?«
    »Nicht mal das.«
    »Das sind doch bloß Worte!«
    »Eine schiefe Schranktür ist wesentlich weniger hässlich als deine Gossensprache.«
    »Dad, du warst im Krieg! Du warst bei den Spezialkräften! Du hast gesehen, wie Männer in ihren eigenen Eingeweiden standen! Du müsstest doch eigentlich wissen, was wichtig ist und was nicht!«
    Peters Körpersprache verriet höchst selten etwas über seinen Gemütszustand, genauso wenig wie er sich zu »Unflätigkeiten« hinreißen ließ. Er war ein Meister der Selbstbeherrschung. Das einzige Anzeichen, das bei ihm je unabsichtlich Überraschung, Ärger oder Freude verriet, war eine reflexartige Handbewegung, bei der er sich mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand an das Gestell seiner Brille fasste und zudrückte, als wolle er die Linse scharfstellen. Das machte er nun auch. »Ist dir je in den Sinn gekommen, genau das könnte der Grund dafür sein, warum ich diese krude Sprache in meinem Haus nicht dulde?«
    Jake hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. In meinem Haus, vor meinem Haus. Wenn man Peter besuchte, beschlich einen jedes Mal der Gedanke, man hätte lieber die Schuhe vor der Haustür ausziehen sollen: Früher oder später gab er einem immer das ungute Gefühl, als hätte man etwas Fieses von draußen mit hereingeschleppt.
    Wenn Jake lange genug dablieb, holte sein Vater manchmal eine Flasche Cognac aus der Anrichte und goss zwei eher mickrige Schlückchen in große, schwere Cognacschwenker. Und jedes Mal fragte Jake sich, warum man für so einen Fingerhut voll Cognac so ein großes Glas brauchte. Mit seinem Vater ein Glas Cognac zu trinken war, als würde man am letzten Schultag im Internat vom Hausvater auf einen Drink eingeladen. Er fragte dann immer, was für Pläne man hatte, tat interessiert und hörte mit angestrengtem Lächeln zu, bis man fertig war.
    Peter und Jakes Mutter hatten sich scheiden lassen, als Jake gerade mal zwölf war; danach war seine Mutter nach Schottland gezogen. Der Altersunterschied zwischen ihnen – der anfangs, als sie sich kennengelernt und geheiratet hatten, so anziehend und attraktiv gewirkt hatte – erwies sich in späteren Jahren als Belastung. Letzten Endes war sie erleichtert gewesen, ihren alternden Ehemann los zu sein. Jake hatten sie auf ein Internat geschickt, was Zoe ihn nie vergessen ließ und was er auch ohne sie nie vergessen hätte.
    Am Tag nach dem Zwischenfall mit dem Schraubenzieher tranken sie ihren rituellen Brandy, und gerade, als Jake sein Glas abstellen und sich verabschieden wollte, hatte Peter das Gespräch aufs Fluchen gebracht.
    »Ich weiß, in deiner Generation ist das anders, aber mich stört das. Ich kann es nicht leiden, wenn du blasphemische Sachen sagst, weil das meinen Glauben verletzt; und ich mag es nicht, wenn du fluchst, weil das zeigt, dass du die Werte mit Füßen trittst, die ich dir vermitteln wollte.«
    »Ja, aber welche Werte denn, Dad?«
    »Du verstehst das nicht. Reden, sprechen – Sprache insgesamt – steht für die geordnete, zivilisierte und vernünftige Äußerung der menschlichen Natur. Diese ganzen vulgären Unflätigkeiten sind doch nichts anderes als Lückenfüller, weil einem nichts Besseres einfällt. Es ist das Gegenteil von Rationalität und Ordnung. Das genaue Gegenteil. Es ist der Versuch, zivilisiertes Verhalten, Vernunft und Ordnung zu unterminieren.«
    »Ja. Ich halte bloß nicht viel von Vernunft und Ordnung.«
    »Ach! Bist du etwa der

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