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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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tun?«
    »Wo befinden Sie sich gerade?«
    »Auf dem Friedhof. Ich stehe am Grab meiner Mutter.«
    Es war ihr einfach so herausgerutscht.
    Wieso lügst du?, dachte sie. Du bringst dich nur in Gefahr damit. Es
wäre nichts dabei gewesen zu sagen, dass du vor einem Blumengeschäft stehst.
Keiner würde da Verdacht schöpfen.
    »In einer Woche jährt sich ihr Todestag zum sechsten Mal«, fügte sie
hinzu. »Ich möchte, dass ihr Grab dann besonders hübsch aussieht.«
    Sie überquerte die Straße und ging zurück zu ihrem Wagen.
    »Könnten wir uns im Anschluss treffen?«, fragte er. »Gibt es
vielleicht ein Café in der Nähe des Friedhofs? Ich würde gerne mit Ihnen
reden.«
    »Es gibt ein Café, aber ich benötige noch etwa eine halbe Stunde.
Ist etwas passiert?«
    »Sie haben noch nicht davon gehört?«
    »Was denn gehört?«
    »Heute morgen ist an der Bushaltestelle Birkenkotten eine
Frauenleiche aufgefunden worden.«
    Sie geriet ins Straucheln, der Autoschlüssel wäre ihr beinahe aus
der Hand gefallen. Es dauerte, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte.
    »Eine Frauenleiche? Mein Gott, wer ist es? Ist sie ermordet worden?«
    »Es ist Sandra Hahnenkamp. Und ja, sie ist ermordet worden.«
    Das erste Gefühl war Erleichterung. Es ist nicht Klara! Ihr ist
nichts geschehen! Doch dann holte sie das ganze Ausmaß der Nachricht ein.
Sandra Hahnenkamp! Mein Gott, es wird Brigitte umbringen. Es würde jede Mutter
umbringen.
    Sie ließ sich in den Fahrersitz sinken.
    »Sie glauben, dass es Martin war, oder? Deshalb rufen Sie mich an.«
    »Im Moment können wir noch gar nichts sagen. Trotzdem möchte ich
Ihnen ein paar Fragen stellen. Wie finde ich dieses Café, von dem Sie
gesprochen haben?«
    Sie beschrieb ihm den Weg und verabredete einen Zeitpunkt mit
Hambrock, ehe sie das Gespräch beendete. Kraftlos saß sie da.
    Mein Gott, Martin. Was tust du nur?
    Sie hatte keine Vorstellung, wie sie dies alles durchstehen sollte.
Zumindest verstand sie nun das Verhalten der Eheleute Kentrup, die
wahrscheinlich von dem Mord und von Martins Flucht gewusst hatten. So etwas
sprach sich in Birkenkotten in kürzester Zeit herum.
    Benommen drehte sie den Zündschlüssel und rollte auf die Straße. Sie
musste sich beeilen, wenn sie rechtzeitig am Friedhof sein wollte.
    Im Rückspiegel tauchte die Kapelle auf. Ein leuchtender Fleck in der
Abendsonne, umgeben von heraufziehenden Regenwolken. Sie trat aufs Gas und bog
in eine Kurve. Kurz darauf war die Kapelle verschwunden.

4
    Der Schriftzug war
bereits von Weitem zu erkennen. »Westfalens größtes Erotikkaufhaus. Kino und
Live-Action in über neunzig Kabinen«. Darunter, in einer Ecke am Schaufenster,
klebte ein kleinerer Zettel. »Putzfrau gesucht«.
    Guido Gratczek lachte trocken. Es gab wahrlich schlechtere Jobs als
den seinen, dachte er und steuerte auf das Gebäude zu. Eine steinerne
Außentreppe führte neben dem Sexshop hinauf zur Diskothek im ersten Stock. Er
stieg über herumliegenden Müll und erreichte eine graffitibesprühte
Eingangstür.
    Mit leichtem Unbehagen überprüfte er den Sitz seines beigefarbenen
Boss-Anzugs. Dann nahm er Haltung an, wie er es immer tat, wenn sein Beruf ihn
an schmuddelige Orte führte. Nach sieben Dienstjahren war er überzeugt davon,
dass er sich auf diese Weise abschirmen konnte, sowohl vor dem Schmutz und dem
Gestank der Einsatzorte wie auch vor dem, was er in all diesen menschlichen
Abgründen erblickte.
    Haltung, das ist es, worauf es ankommt, dachte er und stieß die
Eingangstür auf. Der wütende Verkehrslärm verstummte, sowie die Tür hinter ihm
zufiel. Die plötzliche Stille hatte etwas Unheimliches. Vor ihm lagen
Kassenraum und Garderobe. An den Wänden haftete ein Teer- und Nikotinfilm. Es
roch nach kaltem Zigarettenrauch.
    Von ferne war der Klang einer Stimme zu hören. Verstehen konnte er
sie nicht. Er trat durch eine weitere Tür und blickte auf eine Tanzfläche und
einen Barbereich. Im diffusen roten Licht wirkte die verwaiste Diskothek ein
wenig gespenstisch.
    »Wenn ich Wareneinsatz und Umsätze vergleiche, dann stimmt was
nicht. Das müsst ihr mir glauben. Die Rechnung geht einfach nicht auf …«
    Die Stimme kam aus dem hinteren Teil der Diskothek. Der Kommissar
umrundete das DJ-Pult und
stieß auf einen Loungebereich mit kleinen Tischchen und Clubsesseln. Eine
Handvoll Männer und Frauen saß um einen der Tische. Mit kleinen Augen hielten
sie sich an dampfenden Kaffeetassen fest. Trotz der Uhrzeit sahen sie aus, als
wären sie

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