Schneetreiben
knipste sie an und ließ den Lichtkegel durch
die Bauernhausdiele schweifen. Bilder und Wandteppiche leuchteten auf, bevor
sie wieder im matten Schein des Feuers verschwanden.
»Hervorragend«, sagte Lina und schnappte sich den Korb mit den
leeren Flaschen. »Gehen wir.«
Sie schlichen durch den schmalen Flur bis zur Zwischentür, die zur
Tenne führte. Es war ein seltsames Gefühl, mit einer Taschenlampe durch die
vertrauten Räume zu gehen. Sie bewegten sich wie Einbrecher.
Als sie in die Tenne traten, hielten sie sich aneinander fest. Es
war stockfinster. Der Schein der Taschenlampe war nur ein winzig kleiner Punkt
in dem großen Raum. Er wanderte über die nackten Wände, über Leitern, Werkzeuge
und Gartengeräte. Die Werkbank warf lange Schatten, genau so die
Fahrradständer. Dahinter blieb alles schwarz.
Schritt für Schritt gingen sie in den großen Raum hinein. Eine Böe
rüttelte an einem Fenster. Lina stieß einen kurzen Schrei aus. Sie richtete die
Taschenlampe aufs Fenster, dann begann sie zu lachen.
»Wir benehmen uns wie die Hühner«, sagte sie. »Als wenn es eine
große Sache wäre, dass mal kein Licht da ist.«
»Stimmt.« Wohl fühlte sich Klara dennoch nicht. Schließlich könnte
jemand fünf Meter von ihr entfernt stehen, ohne dass sie etwas bemerken würde.
»Lass uns trotzdem schnell machen«, sagte sie.
Lina räumte die leeren Flaschen weg, dann öffnete sie die
Kühlschranktür und leuchtete mit der Taschenlampe hinein.
Klara tauchte augenblicklich in der Dunkelheit ab.
»Also gut, was brauchen wir?«, murmelte Lina. »Sechs Flaschen
dürften reichen.«
Sie packte das Bier in den Korb.
Klara schlang ihre Arme um den Oberkörper. Wieder dachte sie an
Rolf. Sie blickte zum Hof. Da war ein kleines rautenförmiges Fenster in der
Tennentür, der weiße Rahmen zeichnete sich in der Dunkelheit ab.
Sie fragte sich, ob sie den Mut hätte, hinauszugehen und in der
Scheune nachzusehen. Wenn niemand dort war, konnte sie die Sache getrost
vergessen. Und wenn doch, dann hätte sie zumindest Gewissheit. Allerdings wagte
sie ja kaum, in die Tenne zu gehen und Bier zu holen. Wie sollte sie da ein
solches Vorhaben in die Tat umsetzen?
»Was machst du an der Tür?«
Lina richtete den Lichtkegel direkt auf Klaras Gesicht. Schützend
hielt die sich die Hand vor Augen.
»Lass das. Du blendest mich.«
Lina ließ die Lampe sinken und nahm den Bierkorb. »Komm, lass uns
wieder reingehen.«
Doch Klara war mit ihren Gedanken noch immer bei der Scheune. Konnte
es sein, dass jemand sich dort versteckte, ohne dass Rolf Alarm schlug? Dieser
Jemand musste dem Hunde sehr vertraut sein …
Ihr wurde heiß und kalt. Martin. Natürlich. Er war es. Dort war sein
Versteck. Rolf kannte ihn noch von früher. Er war ganz vernarrt gewesen in den
Nachbarjungen. Martin hatte ständig Zeit mit dem Hund verbracht.
Er war es. Er war die ganze Zeit über in unmittelbarer Nähe. Seit
Herr Burtrup auf Masthaltung umgestellt hatte, gab es kein Stroh mehr auf dem
Dachboden. Als Teenager hatten sie dort Stühle und ein großes Sofa
hochgeschleppt, um heimlich zu rauchen und sich die Zeit zu vertreiben. Es war
ein ideales Versteck.
»Klara? Was ist los mit dir?«
Lina stand bereits in der Tür zum Wohnhaus, als sie bemerkte, dass
Klara ihr nicht gefolgt war. Dieses Mal richtete sie den Lichtkegel auf den
Boden vor ihren Füßen. Klara starrte sie an. Ihr erster Impuls war, Lina alles
zu sagen. Doch dann zögerte sie.
»Was ist los?«, fragte Lina wieder. Sie stellte den Korb ab. »Geht
es um das, was wir im Wohnzimmer gesagt haben? Du hast das bestimmt falsch
verstanden. Was hast du denn gehört?«
Linas Gesicht befand sich im Schatten, Klara konnte nichts erkennen.
»Nichts«, sagte sie. »Ich habe überhaupt nichts gehört. Worüber habt
ihr denn gesprochen?«
Linas Schweigen dauerte Sekunden.
»Ach, nichts. Nur über Martin. Du hättest es falsch verstehen
können.«
Sie log. Klara wusste das genau. Sie kannte ihre Freunde gut genug.
Sie erinnerte sich daran, was Kommissar Hambrock gesagt hatte. Die Polizei
hielt es für möglich, dass jemand von der Party am Tatort gewesen war.
»Wisst ihr irgendetwas über den Mord an Sandra?«, fragte Klara.
»Verschweigt ihr Jens und mir etwas?«
»Oh, nein!« Lina rang sichtlich um Worte. »Spinnst du? Was denkst du
nur?«
»Keine Ahnung.«
»Wir haben über Martin gesprochen. Ich wollte nicht, dass du das
mitkriegst. Mensch, Klara, wenn ich etwas über Sandras Tod
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