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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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wurde das Zusammensein mit den Polizisten
unerwartet unterhaltsam.
    Zudem waren sie höflich genug, um keinen Anstoß an Dorothea Probsts
Unkonzentriertheit zu nehmen. Ihre Gedanken schweiften nämlich immer wieder ab.
Dann musste sie mehrmals nachfragen, weil sie etwas verpasst oder nicht richtig
verstanden hatte. Wie hätten die Männer wohl reagiert, wenn sie den Grund für
ihre Zerstreutheit gekannt hätten?
    Das, was Dorothea Probst durch den Kopf ging, musste sie allein mit
sich ausmachen. Sie fragte sich nämlich, ob es ihre Pflicht wäre, den
Polizisten zu sagen, wo sich Martin versteckt hielt. Sie fragte sich, ob es
richtig war, ihr eigenes Kind zu verraten.
    Alles in ihr sträubte sich dagegen. Trotzdem. Sie konnte die Zweifel
nicht beiseite schieben. Sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass von Martin
keine Gefahr mehr ausging.
    Sie wusste natürlich, dass er es gut meinte und alles tat, um gegen
den Hass in sich anzukämpfen. Doch was, wenn er am Ende einknicken würde?
    Martin hatte nicht verstanden, wieso es falsch gewesen war, sich bei
Klara zu entschuldigen. Das konnte doch nur bedeuten, dass er noch immer nicht
verstanden hatte, was er diesem Mädchen überhaupt angetan hatte.
    Vielleicht wäre es für den Jungen das Beste, ins Gefängnis
zurückzugehen und dort seine Therapie fortzusetzen. Er hatte einen so
großartigen Therapeuten gehabt. Sicher konnte der ihm behilflich sein,
dauerhaft das Dunkle in seinem Innern einzusperren.
    Es wäre das Beste, sie würde mit Martin sprechen, von Angesicht zu
Angesicht. Dann würde sie ihn dazu bringen können, selbst zu entscheiden und
das Richtige zu tun. Doch dieses verfluchte Wetter hielt sie davon ab, zu
seinem Versteck hinüberzugehen. Außerdem war die Polizei im Haus. Ihr waren die
Hände gebunden.
    Sie warf das Bettzeug über ihren Arm und wandte sich zur Tür. Dabei
fiel ihr Blick auf das Spiegelbild in der Fensterscheibe. Die Frau im Fenster
sah sie an, als wäre sie eine Fremde.
    Du kannst doch deinen Jungen nicht verraten!
    Sie blies die Kerze aus, ging mit schweren Schritten hinunter ins
Wohnzimmer und legte das Bettzeug über die Sofalehne. Vorm Herdfeuer saßen die
beiden Polizisten und fummelten an dem kleinen Kofferradio herum, das sie aus
der Küche geholt hatte. Sie hatten das Radio inzwischen mit den Batterien aus
ihren Taschenlampen wieder in Betrieb genommen und suchten nun nach einem
Sender, aber der Empfang war furchtbar schlecht.
    »Hier sind die Decken und die Kissen«, sagte Dorothea Probst. »Sie
können sie …«
    Der Dicke hob hastig den Finger an die Lippe.
    »Pst! Ich glaube, da war ein Sender!«
    Er drehte am Regler, und plötzlich hörten sie klar und deutlich die
Stimme eines Radiosprechers. Es schien sich um eine Nachrichtensendung zu
handeln. Der Polizist winkte sie aufgeregt heran, damit sie mithören konnte.
Eilig ging sie um das Sofa herum und setzte sich zu den beiden ans Feuer.
    Dann lauschte sie dem Radio.
    »… auch der Bahnverkehr
ist in einigen Regionen völlig zusammengebrochen, nachdem zahlreiche Bäume
unter der Last des Schnees eingeknickt sind und die Schienen blockieren.
Betroffen sind das Münsterland, das Rheinland und Ostwestfalen-Lippe. Dort sind
seit dem Nachmittag die Feuerwehren im Dauereinsatz, um Schienen freizuräumen
und gefährdete Bäume zu fällen. Die zahlreichen Verkehrsunfälle sorgen zur
Stunde noch immer für Staus. Trotz der Warnungen der Meteorologen schätzten
viele Autofahrer die Straßenverhältnisse falsch ein. Besonders zugespitzt ist
die Situation auf der A31, wo
abgerissene Starkstromkabel auf der Fahrbahn liegen. Mehrere hundert Autofahrer
sitzen dort seit Stunden fest. Im westlichen Münsterland sind seit dem frühen
Abend über zwanzig Gemeinden ohne Strom. Vielerorts sind Überlandstrommasten
unter der Schnee- und Eislast zusammengebrochen. Der Krisenstab der
Bezirksregierung bemüht sich um Notstromaggregate, jedoch lässt sich momentan
nicht vorhersagen, wann die Bewohner wieder Strom haben werden. Nun zu den
weiteren Meldungen …«
    Der dicke Polizist drehte den Ton leise und blickte sie finster an.
    »Das hört sich nicht gut an«, sagte er. »Das hört sich überhaupt
nicht gut an.«
    »Aber die Bezirksregierung tut doch bestimmt alles, um den Strom
wiederherzustellen, oder etwa nicht?«, fragte Dorothea Probst.
    Er schüttelte finster den Kopf. »Wenn Starkstrommasten
zusammenbrechen und dadurch im halben Münsterland der Strom ausfällt, wird es
noch eine ganze

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