Schneetreiben
Dunkelheit. Da war sie, die
Leitersprosse, und über ihr die Luke zum Dachboden. Es war ganz einfach
gewesen.
Sie atmete durch, überprüfte den Sitz des Messers und kletterte die
Sprossen hinauf. Oben stieß sie auf einen Widerstand. Die Falltür war
zugeklappt. Vorsichtig drückte sie dagegen. Ein leises Quietschen erklang. Sie
hielt inne, wartete. Das Geräusch war im Heulen des Sturms untergegangen. Sie
drückte die Falltür auf, stieg hindurch, sicherte sich auf dem Dachboden Halt
und ließ die Platte zurück in ihre Verankerung gleiten. Dann atmete sie durch.
Sie war oben angekommen.
Es waren nur noch wenige Meter bis zum Sofa. Dort drüben lag Martin.
Ihr Peiniger. Ahnte nichts von dem, was gleich passieren würde. Ihre Finger
ertasteten einen Balken. Sie schob einen Fuß vor den anderen und stieß gegen
die Rückseite des Sofas. Dann zog sie Taschenlampe und Messer hervor und
brachte sich in Stellung.
Mit einem leisen Klick flammte das Licht auf. Der grelle Strahl der
Taschenlampe leuchtete auf einen Berg von Decken. Apfelsaftflaschen und
Dosenravioli standen vor dem Sofa, daneben ein Paar ausgetretene Schuhe. Doch
es lag kein Körper unter den Decken. Martin war nicht mehr hier.
Panisch richtete sie den Strahl vom Sofa weg. Sie ließ ihn hektisch
über Balken und Dielen wandern. Irgendwo musste er sein. Er hatte sie kommen
hören und sich versteckt.
Plötzlich fiel ein altes Pferdegeschirr um. Sie richtete das Licht
darauf. Zunächst war nichts zu sehen, doch dann sprang etwas hinter einem
Balken hervor. Im huschenden Licht blitzte ein grellweißes Gesicht auf, ein
verzerrter Mund, glühende Augen. Es war Martin. Schnell wie ein Raubtier sprang
er auf sie zu.
Sie reagierte blitzartig. Knipste das Licht aus, sprang zur Seite,
schlug einen Haken und kroch in die entgegengesetzte Richtung unter eine
Dachschräge.
Martin verfehlte sie. Er hastete an ihr vorbei. Dielen knarrten
unter seinem Schritt, er entfernte sich im schwarzen Nichts.
Sie krallte sich an einen Balken. Jetzt durfte sie nicht in Panik
geraten. Noch hatte sie eine Chance, ihn zu schlagen. Sie kannte jeden
Zentimeter dieses Dachbodens. Egal, wie lange er schon hier oben war, in diesem
Punkt war sie ihm überlegen.
Sie verließ das Versteck und schlich zurück zur Luke, duckte sich
und ertastete die Falltür. Dann zählte sie die Dielen. Als sie die vierte
erreicht hatte, stand sie auf und trat mit ihrem ganzen Gewicht darauf. Das
alte Holz knarrte so laut, dass alle anderen Geräusche überdeckt wurden.
Eilig trat sie zur Seite und wartete. Tatsächlich. Seine Schritte
näherten sich. Vorsichtig, zögernd, doch sie kamen direkt auf sie zu. Es hatte
funktioniert. Sie klammerte sich fest an das Schlachtermesser. Dann ging sie in
die Dachschräge hinein und suchte den Boden nach Steinchen ab. Sie zielte und
traf eine Reihe von Dachziegeln, die hinter einem Balken gestapelt waren.
Martin blieb stehen. Er schien zu zögern, dann schlich er auf
Zehenspitzen in Richtung der Ziegel weiter. Sie folgte ihm lautlos. Ihr Plan
würde aufgehen. Ein plötzliches Hochgefühl erfasste sie. Sie würde die Schlacht
gewinnen.
Doch dann hörte sie Martin nicht mehr. Sie starrte in die
Dunkelheit. Wo befand er sich jetzt? Wusste er, was sie vorhatte?
Sie ging einen Meter vorwärts, dann noch einen. Ihr Atem wurde
lauter. Sie zwang sich zur Ruhe. Mit der Hand umklammerte sie das Messer,
bereit, jeden Augenblick zuzustoßen.
Wo bist du?
Etwas berührte ihr Gesicht. Sie stach zu. Doch ins Leere. Ein
klebrig staubiger Vorhang rutschte
herab. Es waren Spinnweben. Nur Spinnweben. Sie schüttelte sie voller Ekel ab.
Um Himmels willen, dachte sie, ich stehe das nicht durch.
Wieder knarrte eine Diele. Hinter ihr. Es war Martin. Er stand genau
dort, wo sie es geplant hatte. Gleich ist es vorüber. Sie schlich in die
Dachschräge hinein, ganz nah an ihn heran. Sie konnte seinen Atem hören. Er
hatte den Balken erreicht, hinter dem die Dachziegel gestapelt lagen. Neben ihm
fiel die Dachschräge ganz steil hinab, sie bot keine Fluchtmöglichkeit. Gleich
würde er bemerken, dass er in einer Sackgasse war, und sich umdrehen.
Sie musste es riskieren.
Mit einer schnellen Bewegung zog sie die Taschenlampe hervor,
knipste sie an und blendete ihn. Er riss überrascht die Arme hoch. Bevor er
sich zwischen Flucht und Angriff entscheiden konnte, ließ sie das Messer
hervorschießen und legte es ihm an den Hals. Er spürte die kalte Klinge und
erstarrte.
Sie drückte ihn
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