Schneetreiben
begleitet, um ihr dabei zu helfen, Martin
fertigzumachen. Doch was sollte sie mit einem betrunkenen Jungen anfangen? Er
hätte ihr nur im Weg gestanden.
Zudem war sie mehr und mehr davon überzeugt, dass sie diese Sache
alleine durchziehen musste. Es war ihr Krieg und nicht der seine, und die
heutige Schlacht musste sie ganz allein überstehen, wenn sie letztlich
siegreich hervorgehen wollte.
Sie stand auf, zog ihren weiten Wollpullover aus und tauschte ihn
gegen ein enganliegendes Sweatshirt, das ihr einen größeren Bewegungsspielraum
ließ. Dann nahm sie ein Haargummi und band sich die Haare zu einem Zopf
zusammen.
Sie griff nach der Taschenlampe, blies die Kerze aus und verließ
geräuschlos den Raum. Vor dem Gästezimmer blieb sie stehen und lauschte an der
Tür. Sie hörte das Quietschen einer Matratze und ein unterdrücktes Stöhnen.
Lina und Marc schliefen also noch nicht. Sie musste vorsichtig sein.
Lautlos schlich sie die Treppe hinunter und weiter in die Küche. Sie
wusste, dass Frau Burtrup ihre Messer in einer Schublade neben dem Herd
aufbewahrte. Auch das große Schlachtermesser. Klara ließ den Lichtstrahl der
Taschenlampe über die Klinge gleiten. Frau Burtrup legte großen Wert darauf,
dass die Klingen stets gepflegt und gut geschliffen waren. Klara war zufrieden.
Das Messer lag sicher in ihrer Hand, es würde ihr eine gute Waffe sein.
Sie verließ auf leisen Sohlen die Küche. In der Tenne angekommen,
knipste sie die Lampe aus und steckte sie zurück in den Gürtel. Ab jetzt würde
sie sich im Dunkeln bewegen müssen.
Sie erinnerte sich daran, wie es war, als Martin plötzlich in ihrem
Zimmer gestanden hatte. Es hatte sich furchtbar angefühlt. Allein seine
Anwesenheit hatte ausgereicht, um sie handlungsunfähig zu machen. Das durfte
keinesfalls wieder geschehen. Dieses Mal war sie vorbereitet. Sie würde es ihm
nicht gestatten, sie einzuschüchtern. Mit seinem Blick allein würde er sie
nicht noch einmal bezwingen.
Der Türgriff lag kühl unter ihrer Hand, sie atmete durch. Mit einem
Ruck zog sie die Tür auf, die zum Hof führte. Der Sturm zerrte an ihr,
Schneeflocken wirbelten um sie herum. Sie war bereit.
Dieses Mal würde sie triumphieren.
17
Mühsam stapfte sie durch den tiefen Schnee. Das Sturmtief
hatte seinen Höhepunkt erreicht. Der Wind jagte schreiend und kreischend um
ihren dünnen Körper herum, er zerrte sie in wechselnde Richtungen und befeuerte
sie von überall mit nassen Schneeflocken.
Bleib nicht stehen, sagte sie sich. Lauf einfach weiter!
Aber da kam bereits die nächste Böe, die heftiger war als die
vorangegangenen, und warf sie in den Schnee. Das Messer glitt ihr aus der Hand,
es verschwand in der Dunkelheit. Panik erfasste sie. Es konnte doch nicht sein,
dass ihr Plan bereits fehlschlug, bevor sie die Scheune auch nur erreicht
hatte.
Vorsichtig durchwühlte sie den Schnee unter ihren Füßen. Nach
endlosen Sekunden fühlte sie den kalten Stahl unter ihren Fingern. Schnell
steckte sie das Messer zurück an den Gürtel und stapfte weiter, Schritt für
Schritt durch das tosende Unwetter.
Mit den ausgestreckten Händen stieß sie gegen eine Wand. Sie tastete
die Mauer ab. Glatter, sauber verputzter Klinker. Es war der Maststall. Von
hier aus kannte sie den Weg. Schließlich erreichte sie die Scheunenwand. Sie
lief unter das Vordach und schob mit aufreizender Langsamkeit den hölzernen
Riegel zur Seite. Dann nahm sie das Tor mit beiden Händen und zog es millimeterweise
auf. Der Wind packte es und versuchte es ihr aus den Händen zu reißen. Doch sie
ließ das nicht zu, schlüpfte vorsichtig hinein und zog es sachte wieder zu.
Mit angehaltenem Atem lauschte sie in die Dunkelheit der Scheune.
Der Wind stöhnte im Gebälk, der Dachstuhl ächzte unter der Last, und irgendwo
klapperten lose Schindeln. Sonst war da nichts. Offenbar hatte Martin sie nicht
gehört. Bestimmt lag er oben auf dem Sofa und schlief. Sie wartete noch endlose
Minuten. Dann erst wagte sie weiterzugehen.
Mit tastenden Händen bewegte sie sich im Nichts. Sie musste zu der
Leiter gelangen, die zum Dachboden führte. Ihre Finger ertasteten grob
behauenes Holz. Sie umfasste es mit den Handflächen. Es war einer der tragenden
Balken, an dem eine Querstrebe aus Metall befestigt war. Früher hatten Rinder
in der Scheune gestanden, und ein Teil des alten Anbindestalls war nach wie vor
erhalten. Sie hangelte sich an der Strebe entlang, erreichte den nächsten
Balken und befingerte von dort aus die
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