Schneetreiben
und legte sich hin. In der darauffolgenden Stille
rasten seine Gedanken. Etwas stimmte nicht mit diesem Typen, aber er hatte
keine Ahnung, was.
Sie lagen schon eine ganze Weile da, und Tilmann glaubte bereits,
dass der andere eingeschlafen sei. Doch dann sagte Thomas etwas in die
Dunkelheit hinein, das ihn heiß und kalt werden ließ: »Ich habe dich gesehen.«
Er hätte sich einfach schlafend stellen können, doch dazu fehlten
ihm die Nerven. »Wo hast du mich gesehen?«
Thomas antwortete nicht.
»Wer bist du überhaupt?«, fragte Tilmann.
Aber in diesem Moment konnte er sich selbst die Antwort geben. Es
war Martin Probst, der Sexualstraftäter. Kein anderer Mensch würde bei dem
Wetter hier im Vereinshaus auftauchen. Keiner, der bei Verstand war.
Doch Tilmann bekam erneut keine Antwort.
Er nahm ein Streichholz und ließ es aufflammen.
Martin Probst lag ihm gegenüber, er stützte sich auf den Ellbogen
und sah ihm fest in die Augen.
Er konnte nichts gesehen haben, dachte Tilmann, das war absolut
unmöglich.
»Du hast nichts gesehen«, meinte er.
Probsts Augen waren undurchdringlich. »Wenn du es sagst.«
Das Streichholz war fast abgebrannt, Tilmann ließ es fallen, und die
Flamme verlosch. Es war ein Bluff. Der andere hatte bestimmt nichts gesehen.
»Ich werde jetzt schlafen«, sagte Tilmann.
»Also gut«, sagte Probst. »Dann bis morgen.«
19
Nachdem Hambrock dem Dienststellenleiter in Borken die
Situation erläutert hatte, alarmierte der das übergeordnete Landesamt, das den
Einsatz der Spezialeinsatzkommandos koordinierte. Eines davon war in Münster
ansässig, und Hambrock wusste, dass die Kollegen über das notwendige Equipment
und Know-how verfügten, um einen Zugriff unter diesen Wetterbedingungen in
Birkenkotten durchführen zu können. Das Einsatzkommando machte sich auf den Weg
ins Zentrum des Sturms, und Hambrock schickte die beiden Observationsbeamten
zurück zum Haus von Dorothea Probst. Er wollte allein auf die Verstärkung
warten.
Es dauerte eine gute Stunde, bis das SEK Birkenkotten erreichte. Ausgerüstet mit schweren
Fahrzeugen, mobilen Scheinwerfern und Infrarot-Nachtsichtgeräten fuhren sie auf
den Hof der Familie Burtrup, wo Hambrock sie im Tennentor erwartete. In der
stockfinsteren und stürmischen Nacht wirkten sie mit den grellen Scheinwerfern
und dem lauten Dröhnen der Motoren wie eine Invasion von Außerirdischen.
Er konnte nur hoffen, dass Probst sich tatsächlich im Vereinshaus
aufhielt, denn falls nicht, wollte er in den nächsten Tagen lieber keinem
seiner Vorgesetzten über den Weg laufen.
Aus dem vordersten Wagen sprang ein Mann und trat in das
Scheinwerferlicht. Er trug einen wetterfesten Overall, hohe Stiefel und eine
dicke Weste, unter der sich sein Waffenhalfter abzeichnete.
Sie mussten einander anschreien, um den Sturm zu übertönen.
»Erster Hauptkommissar Hambrock?« Er gab ihm die Hand. »Ich bin
Thomas Rohloff, Leiter des SEK.«
»Freut mich, Sie zu sehen«, sagte Hambrock und deutete auf die
Tennentür. »Vielleicht sollten wir drinnen…?«
Rohloff lachte. »Natürlich. Gehen wir rein.«
Sie besprachen den Einsatz in der Küche des Bauernhauses und
entschieden sich, das Vereinshaus zu stürmen. Dieses Mal sollte Probst keine
Gelegenheit bekommen zu fliehen. Hambrock stieg zu Rohloff in den Wagen, und
das Kommando machte sich auf den Weg.
Wenige Minuten später hatten sie das Vereinshaus erreicht. Die
Geländewagen schalteten kurz vor ihrem Ziel das Licht aus und kamen lautlos zum
Stehen. Die leisen Motorengeräusche wurden vom Sturm geschluckt. Keiner würde
sie kommen hören.
Die Beamten glitten aus den Fahrzeugen und näherten sich vorsichtig
dem Zielobjekt. Sie erkundeten das Gelände, umstellten das Haus, blockierten
die Fluchtwege und bezogen Stellung an der Tür.
Hambrock stand abseits. Er hatte kein Nachtsichtgerät und konnte die
Männer nur an den kleinen roten Punkten erkennen, die an ihren Brillen
leuchteten. Sie verteilten sich geräuschlos in der Umgebung, während Rohloff
ihm im Flüsterton erklärte, was passierte.
Schließlich sagte er: »Wir sind dann so weit. Es kann losgehen.«
Hambrock trat einen Schritt zurück.
»Also gut, fangen Sie an.«
»Zugriff!«, zischte der Einsatzleiter in sein Funkgerät.
Dann ging alles ganz schnell. Mit einem Knall flog die Tür auf, und
Polizisten drangen in das Gebäude wie Wasser in ein leckgeschlagenes Schiff.
Scheinwerfer flammten auf, und grelles Licht ergoss sich über die
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