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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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hätte er seinen Namen gerufen.
    Nun wusste Tilmann, wie er reagieren musste. Es gab eine
Möglichkeit, unentdeckt zu bleiben, er musste nur die Nerven behalten. Er
zündete ein Streichholz an und hielt es an den Docht der Kerze. Der Raum wurde
in ein mattes Licht getaucht.
    »Hallo?«, rief er und versuchte, verschlafen zu klingen. »Ist da
jemand?«
    Die Gestalt im Vorraum erstarrte. Sekundenlang war es totenstill.
    »Hallo!«, wiederholte er. »Ich hab doch was gehört.«
    Er stand auf, nahm die Kerze und ging hinaus in den Vorraum. Ein
stämmiger Mann stand auf der Schwelle und starrte ihn erschrocken an. Er war im
gleichen Alter wie Tilmann, doch in einem Kampf wäre er dem Fremden sicherlich
unterlegen gewesen.
    »Was machst du hier?«, fragte Tilmann. »Gehörst du zum
Fußballverein?«
    »Nein, aber du auch nicht, oder?«
    Tilmann lachte. »Nein. Mein Auto ist im Schnee steckengeblieben, da war
nichts mehr zu machen. Ich bin zu Fuß weiter, um Hilfe zu holen. Aber hier ist
weit und breit kein Haus, und deshalb bin ich hier gelandet. Ich dachte, ich
könnte in diesem Haus die Nacht abwarten.«
    Der Fremde sah ihn noch immer entgeistert an.
    »Und was verschlägt dich hierher?«, fragte Tilmann.
    »Ach so. Nun ja, das ist so …«
Der andere räusperte sich. »Ich wohne bei meinen Eltern, nicht weit von hier
entfernt. Wir hatten ziemlichen Krach, ich hab’s nicht mehr ausgehalten und bin
abgehauen.«
    »Du bist abgehauen?«
    »Seit ein paar Stunden ist der Strom weg, weißt du? Wenn man
plötzlich nichts mehr machen kann, der Fernseher funktioniert nicht, und man
hängt aufeinander, da fällt allen wieder ein, was sie an den anderen eigentlich
auszusetzen haben. Glaub mir, so ein Stromausfall ist wie Weihnachten. Das geht
nicht gut.«
    Der Typ redete zu viel. Irgendetwas stimmte nicht.
    Tilmann machte eine einladende Geste. »Dann komm doch rein. Ich
hoffe, es stört dich nicht, dass ich hier bin. Wir können es uns zusammen gemütlich
machen.«
    Sie zündeten weitere Kerzen an und bauten ein zweites Nachtlager
auf. Dann gingen sie zum Kühlschrank und holten Bier. Tilmann warf seinen
Vorsatz über Bord und trank nun doch eine Flasche. Er wollte nicht auffallen.
    Sie redeten eine Weile über das Schneechaos. Es war ein
unverfängliches Gespräch, trotzdem hatte Tilmann die ganze Zeit über das
Gefühl, er müsste wachsam sein. Da war etwas in den Augen seines Gegenübers. Es
schien so, als läge er ebenfalls auf der Lauer.
    Irgendwann nahm der Fremde, der sich als Thomas vorgestellt hatte,
einen tiefen Schluck von seinem Bier und stellte die Flasche auf den Boden. Er
blickte Tilmann nachdenklich an.
    »Im ersten Moment habe ich mich furchtbar erschrocken, als ich dich
gesehen habe«, sagte er.
    »Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte Tilmann.
    »Nein, nein. Ich meine etwas anderes. Vielleicht hast du das in
Münster nicht mitbekommen, aber hier ist vor ein paar Tagen jemand ermordet
worden, und der Mörder läuft noch frei herum. Deswegen der Schreck.«
    Dabei betrachtete er ihn aufmerksam. Tilmann war unbehaglich zumute.
    »Ich habe da etwas im Radio gehört, glaube ich. Das Opfer war eine
Studentin, oder?«, fragte er.
    Ein merkwürdiges Lächeln trat in das Gesicht des anderen. »Genau.
Die Polizei denkt, dass der Mann sich noch irgendwo in der Nähe aufhält,
deswegen sind hier draußen alle ein bisschen nervös.« Er machte eine Pause.
»Aber wenn du mich fragst, dann ist der Typ längst über alle Berge. Wäre doch
Wahnsinn, zu bleiben, wenn überall Polizei ist. Oder was meinst du?«
    »Keine Ahnung. Ist mir auch egal. Ich hab jedenfalls nichts damit zu
tun, wenn du das meinst.«
    Der Fremde lachte. »Nein, nein. Das wollte ich gar nicht gesagt
haben.«
    Trotzdem hatte Tilmann das Gefühl, dass er genau das und nichts
anderes sagen wollte. Er sah ihm fest in die Augen. Ein seltsamer Moment
entstand. Plötzlich hatte Tilmann das Gefühl, dass er keinesfalls zuerst den
Blick senken dürfe. Dann hätte der andere den Beweis, dass er doch etwas mit
dem Mord zu tun hatte.
    Ein paar Sekunden vergingen, dann gab sich dieser Thomas
demonstrativ geschlagen und senkte den Blick. Er beugte sich vor und griff nach
seiner Bierflasche. Was wollte der nur von ihm?
    »Ich weiß nicht, wie es dir geht«, sagte Tilmann, »aber ich bin
ziemlich müde. Ich werde mich jetzt hinlegen.«
    »Klar. Kein Problem. Schlafen wir.«
    Sie rückten ihre Sitzpolster zurecht und nahmen die Decken. Dann
blies Tilmann die Kerzen aus

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