Schneetreiben
Räume.
Schatten bewegten sich, ein Schrei ertönte.
Hambrock kniff die Augen zusammen und versuchte etwas zu erkennen.
Er wandte sich an Roloff, doch in dem Moment gab einer der Beamten ein Zeichen:
Zielperson gefasst.
»Das war es schon?«, fragte er.
»Wollen wir es hoffen«, sagte Rohloff.
Hambrock stapfte eilig zum Haus und trat ein. Er spürte
Erleichterung. Der Verdacht hatte sich also bestätigt, Probst war tatsächlich
dort. Zwei Beamte fixierten ihn am Boden, sie zerrten seine Hände auf den
Rücken und legten ihm Handschellen an. Der Mann wehrte sich nicht, er lag
reglos da, das Gesicht auf dem Linoleum.
»Das ist nicht Probst!«, rief Hambrock plötzlich.
Da – eine Bewegung, hinter einer Reihe übereinandergestapelter
Stühle. Dann war auf einmal das Fenster offen, und jemand sprang katzengleich
hinaus.
»Achtung!«, brüllte Rohloff, noch ehe Hambrock begriff. »Zielperson
auf zwölf Uhr.«
Probst rannte in den Schnee hinaus, gefolgt von den grellen
Lichtkegeln seiner Verfolger. Sie waren ihm dicht auf den Fersen, er hatte
keine Chance.
Hambrock blickte zu dem Mann am Boden, der nun seinen Kopf drehte
und das Gesicht erkennen ließ. Wer mochte das sein? Dem Aussehen nach könnte es
sich um Tilmann Feth handeln, doch wie sollte der hierher gekommen sein,
gemeinsam mit Probst in einem Versteck?
Doch für diese Fragen war jetzt keine Zeit. Er lief hinaus und hielt
Ausschau nach den wippenden Lichtern, in denen sich der Flüchtige bewegte. Der
Abstand zu seinen Verfolgern verringerte sich, gleich würden sie ihn ergreifen.
Dann geschah etwas Sonderbares. Probst lief nicht geradewegs auf die
Felder, wie Hambrock es vermutet hätte, sondern schlug Haken, rannte an einer
Böschung entlang und kletterte über einen Graben.
Das war kein normales Fluchtverhalten. Er hatte etwas vor.
Hambrock rannte ins Freie und erreichte die Böschung. Ein seltsames
Feuerwerk rückte in sein Blickfeld. Auf dem Feld hinter der Böschung brannte
irgendetwas und schlug wild Funken. Zunächst verstand er nicht, doch dann
erfassten die umherschweifenden Lichtkegel einen Starkstrommast, der mit
verbogenen Streben hinter der Böschung stand und sich unheilvoll über das Feld
neigte. Sturm und Schnee setzten der Metallkonstruktion zu, die vereisten Kabel
zerrten zusätzlich daran. Eines der Kabel war gerissen, es wand sich wie eine
Schlange im Schnee und spuckte Feuer. Zwei weitere Kabel schwangen gefährlich
nahe am Boden im Wind.
Und dann verstand er plötzlich, was Probst vorhatte. Er lief nämlich
direkt auf das Feuer zu. Es trennten ihn nur wenige Meter. Seine Verfolger
waren dicht hinter ihm.
»O mein Gott!«, entfuhr es ihm.
Er rannte auf das Feld und stemmte sich gegen den Sturm.
»Tu es nicht, Martin!«, brüllte er. »Spring nicht!«
Doch da war es schon zu spät. Probst nahm Anlauf und sprang über das
am Boden liegende feuerspuckende Kabel. Im Lichtkegel einer Taschenlampe
blitzte sein weißes Gesicht auf, es war nicht mehr als eine schreckensstarre
Maske. Dann flog er bereits durch die Luft, und sein Körper verschwand in
grellen, auflodernden Blitzen.
Es war schon spät in der Nacht, als Dorothea Probst
plötzlich erwachte. Eine innere Unruhe hatte sie erfasst. Sie fragte sich, ob
sie schlecht geträumt hatte, doch sie konnte sich an keinen Traum erinnern.
Sie tastete auf dem Nachttisch nach Streichhölzern und entzündete
die Kerze, die neben dem Bett stand. Das Schlafzimmer wurde in ein schwaches
Licht getaucht.
Sie lauschte. Die beiden Polizisten redeten unten im Wohnzimmer
miteinander, ihre Stimmen drangen gedämpft durch das Haus. Nachdem sie mit
hängenden Schultern vom Hof der Familie Burtrup zurückgekehrt waren, hatten sie
sich in ihr Auto statt ins Wohnzimmer gesetzt und ihre Gastgeberin fortan
ignoriert. »Wir bleiben lieber hier draußen«, hatte der Dicke auf ihre
beharrlichen Nachfragen erwidert. »Morgen früh werden wir abgelöst, wenn alles
gut läuft. So lange halten wir das schon noch aus.«
»Aber das ist doch Unsinn!«, hatte sie gesagt. »Ich kann ja
verstehen, dass Sie böse auf mich sind. Aber deshalb müssen Sie den warmen
Platz am Kaminfeuer doch nicht aufgeben!«
Es hatte sie einige Überredungskraft gekostet, doch schließlich
waren die beiden zurück ins Haus gekommen.
Trotzdem verrieten sie ihr nicht, was mit Martin geschehen war. Bei
Burtrup war er ihnen offenbar durchs Netz gegangen, aber was danach passiert
war, konnte sie nur ahnen. Sie hoffte inständig, dass ihm
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