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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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und zog die
Jalousien hoch. Ingeborgs Hof leuchtete hell, alles war unter tiefem Schnee
versunken. Wären da nicht der Stromausfall und die laufende Ermittlung, es
hätte ein richtiges Wintermärchen sein können. Doch so war ihm einfach nur
erbärmlich kalt, und die Schönheit trat in den Hintergrund.
    Er ging ins Badezimmer, wusch sich mit kaltem Wasser und zog sich
an. Danach machte er zum Warmwerden ein paar Kniebeugen und steuerte
schließlich die Küche an.
    Er hatte beschlossen, vorerst in Birkenkotten zu bleiben. Alles
andere kam ihn unverantwortlich vor. Solange Martin Probst auf freiem Fuß war,
konnte er Ingeborg und Klara nicht alleine lassen. Es war bereits nach vier Uhr
morgens gewesen, als die Kollegen mit dem Gefangenen nach Münster aufgebrochen
waren. Tilmann Feth hatte sich bis dahin standhaft geweigert, sich ohne Anwalt
zu äußern. Hambrock, der ihn lange Zeit hartnäckig befragt hatte, war
schließlich erschöpft zum Hof zurückgekehrt. Er hatte Feth zum Teufel gewünscht
und entschieden, ins Bett zu gehen und ein bisschen zu schlafen.
    Jetzt konnte er es kaum abwarten, den ersten Kaffee zu trinken, der
hoffentlich seine Lebensgeister zurückbrachte. Doch da fiel ihm ein, dass es
ohne Strom keinen Kaffee geben würde, und er trat missmutig in die Küche.
Ingeborg stand am Aquarium. Sie begrüßte ihn mit einem Nicken und wandte sich
wieder den Fischen zu. Auf dem Tisch stand immer noch das Stövchen, mit dem sie
Wasser erwärmte.
    »Meine Fische sterben«, sage sie tonlos. »Das Wasser wird zu kalt,
und es fehlt ihnen Sauerstoff.«
    »Das tut mir leid.«
    Sie gab ein bisschen Fischfutter ins Wasser und schloss sorgfältig
die Dose.
    Er fragte sich, wie er darauf reagiert hätte, wenn seine eigene
Tochter auf diesen Dachboden geklettert wäre, um ihren Peiniger zu stellen.
Bestimmt war es nicht leicht für sie.
    »Sie lässt niemanden an sich heran«, sagte sie. »Sie denkt, sie ist
ganz alleine auf der Welt.«
    In plötzlicher Wut warf sie das Döschen mit dem Fischfutter gegen
die Wand. Es fiel scheppernd zu Boden.
    »Wie kann sie da nur hochgehen! Ganz allein und bewaffnet mit einem
Messer! Wieso tut sie mir das an? Ihre Freunde waren doch da und Jens’ Eltern
auch. Es gab genügend Menschen, die sie hätte um Hilfe bitten können.« Sie sah
ihn hilflos an. »Ist ihr denn nicht klar, dass diese Leute ihr helfen wollen?«
    »Bestimmt hatte sie einen Grund für ihr Handeln«, sagte er
vorsichtig. »Auch wenn es uns völlig wahnsinnig erscheint.« Sie antwortete
nicht, und er fragte: »Ist sie oben?«
    Klara hatte in der vergangenen Nacht darauf bestanden, gemeinsam mit
ihm zum Haus ihrer Mutter zurückzukehren. Jens hatte dies stumm und ohne
erkennbare Reaktion hingenommen.
    »Ja«, sagte sie. »Aber ich habe sie heute noch nicht gesehen.
Vielleicht schläft sie noch.«
    »Ich werde mal nach ihr sehen. Hast du etwas dagegen, wenn ich mit
ihr rede?«
    »Aber nein, ganz im Gegenteil. Vielleicht hört sie ja auf einen
Außenstehenden eher als auf ihre Mutter.«
    Er ging nach oben und klopfte an Klaras Zimmertür. Ein widerwilliges
Brummen war zu hören. Er öffnete die Tür einen Spalt weit und steckte den Kopf
hinein. Sie saß bereits angezogen auf ihrer Bettkante und starrte vor sich hin.
    »Darf ich reinkommen?«, fragte er.
    Sie nickte knapp. Hambrock setzte sich auf den Schreibtischstuhl ihr
gegenüber. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, ihr Vorhaltungen zu machen.
Sie sollte begreifen, wie unverantwortlich ihr Handeln war. Doch als er sie nun
betrachtete, wurde ihm plötzlich klar, dass sie ganz genau gewusst hatte, was
sie tat.
    Er vergaß die Dinge, die er ihr eigentlich hatte sagen wollen.
Stattdessen fragte er, was ihm die ganze Zeit durch den Kopf gegangen war:
»Bist du dort hinaufgegangen, um ihn zu töten?«
    Sie ließ sich mit der Antwort Zeit. »Das weiß ich nicht genau«, sagte
sie schließlich.
    Ihre Schutzmauern wurden durchlässig. Da waren plötzlich Angst und
Verletzbarkeit, wo sonst nur Distanz zu spüren war.
    »Es ist gut, dass du es nicht getan hast«, sagte er und fügte dann
hinzu: »Ich meine natürlich: Es ist gut, dass Sie es
nicht getan haben.«
    Sie schenkte ihm ein scheues Lächeln. »Sie können mich ruhig duzen.«
    »Also gut. Ich meine das ganz ernst, Klara: Sei froh, dass nichts
passiert ist.«
    Ihr Lächeln erstarb. »Ach ja? Und weshalb?«
    »Weil du dann jemand wärest, der einen Menschen getötet hat.« Sie
wollte protestieren, doch er schnitt ihr das

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