Schneetreiben
und liefen johlend
zur Haustür. Eine junge Mutter empfing sie und führte sie ins Haus. Ihr Gesicht
war weich und hatte kindliche Züge, sie trug ein locker fallendes Strickkleid.
Klara fragte sich unwillkürlich, ob diese sanfte Frau ihren beiden Geschwistern
gewachsen war.
In dem geheizten Haus bemerkte sie erst, wie durchgefroren sie war.
Sie rieb sich die kalten Hände.
»Ihr habt wirklich Pech dort draußen«, sagte die Frau. »Hoffentlich
bleibt uns hier der Strom erhalten.«
Die Kinder verschwanden im Spielzimmer, und Klara und Jens wurden
ins Wohnzimmer geführt.
»Sicher möchtet ihr euch ein bisschen aufwärmen. Wie wäre es mit
einem Glas Glühwein? Ist vielleicht noch ein bisschen früh, aber andererseits
ist auch nicht jeden Tag Schneechaos, oder?«
»Klar trink ich einen Glühwein«, sagte Jens. »Vielen Dank.«
Bevor Klara etwas sagen konnte, verschwand die Frau auch schon in
der Küche.
»Muss das sein?«, zischte sie. »Musst du schon wieder Alkohol
trinken?«
Er bedachte sie mit einem eisigen Blick. »Ist das alles, was du mir
zu sagen hast? Dass ich nichts trinken soll?«
Klara wurde wütend. »Für den Anfang ja. Wie soll man schließlich mit
jemandem reden, der so gut wie nie nüchtern ist?«
Er stand auf und ging durch den Raum. Sie hatte das vage Gefühl, zu
weit gegangen zu sein.
»Du machst mich echt fertig«, sagte er matt.
»Ich will doch nur sagen …«
»Halt den Mund! Halt endlich deinen Mund!«
Klara erstarrte. So aggressiv hatte sie ihn noch nie erlebt.
»Du findest, man kann mit mir nicht reden, wenn ich betrunken bin?
Dann will ich dir mal etwas sagen: So besoffen kann ein Mensch gar nicht sein,
um es da mit dir aufzunehmen. Du bist doch immer Lichtjahre entfernt, wenn ich
mit dir spreche. Du bist auf einem anderen Stern, ganz egal, was ich sage.«
Für einen kurzen Moment spürte sie den Schmerz, den seine Worte
auslösten. Sie fixierte einen Punkt auf dem Teppich. Dann verschloss sie ihr
Herz. Es war ein vertrauter Mechanismus, sie hatte Übung darin. Keiner konnte
sie verletzen, wenn sie es nicht zuließ. Sie brauchte niemanden auf der ganzen
Welt.
»Was immer Martin dir angetan hat«, sagte er, »siehst du denn nicht,
dass ich nicht er bin?«
In diesem Moment schlug die Tür auf, und die Hausherrin balancierte
zwei Tassen ins Zimmer.
»So, der Glühwein ist fertig«, sagte sie fröhlich. »Ich habe ihn
nicht zu heiß gemacht, damit man ihn auch gut trinken kann.«
Als sie in die Gesichter ihrer Gäste sah, geriet sie ein wenig ins
Straucheln. Jens nahm ihr die Tassen ab und stellte eine vor Klara auf den
Tisch.
Er mühte sich ein Lächeln ab.
»Vielen Dank. Das ist sehr nett von Ihnen.« Dann funkelte er Klara
herausfordernd an. »Also dann, Klara, auf dein Wohl.«
Er prostete ihr zu und leerte die Tasse mit großen Schlucken. Sein
Gesicht verzerrte sich dabei, offenbar war der Glühwein heißer als gedacht.
Schließlich setzte er die Tasse keuchend ab, knallte sie vor Klara auf den
Tisch und lächelte kalt.
»Einen schönen Tag noch«, sagte er, drehte sich um und verließ das
Haus.
Die Hausherrin in dem weichen Strickkleid starrte ihm mit offenem
Mund hinterher. Einen Moment lang schien sie etwas sagen zu wollen, doch dann
räusperte sie sich, nahm die leere Tasse und brachte sie zurück in die Küche.
Klara blieb zum Mittagessen, anschließend duschte sie
heiß, wickelte sich in eine Decke und setzte sich vor den Fernseher.
Ausgekühlt, wie sie war, kam ihr das alles wie unerhörter Luxus vor. Ihre
Gastgeberin hatte sich zu ihr gesetzt, sprach Klara aber nicht auf den
Zwischenfall mit Jens an. Ihr war das ganz recht so. Eine Weile plauderten sie
über dies und das, dann schlug Klara die Decke zur Seite und stand auf.
»Ich werde jetzt besser gehen. Sonst wird es noch dunkel, bevor ich
wieder zu Hause bin.«
So freundlich ihre Gastgeberin auch war, sie sehnte sich danach,
endlich allein zu sein.
»Bist du sicher, dass du zu Fuß gehen willst, Klara?« Sie wirkte
besorgt. »Ich könnte ein bisschen herumtelefonieren, vielleicht findet sich ja
jemand, der dich mit dem Schlepper nach Hause bringt.«
»Nein, nein. Vielen Dank, aber im Grunde ist es mir ganz recht so.
Ich habe große Lust, ein bisschen spazieren zu gehen.«
Sie wollte in keinem Auto sitzen, wo sie sich höflich unterhalten
musste. Sie wollte allein sein und an nichts denken müssen.
Die Frau zog ein skeptisches Gesicht.
»Ehrlich«, sagte Klara, »es macht mir nichts aus. Und so
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