Schneetreiben
zu tun hatte, trottete ihr hinterher und blieb im
Türrahmen stehen.
»Die Maschine war mitten im Waschgang, als der Strom ausgefallen
ist«, sagte Ingeborg. »Die Wäsche schwimmt seit gestern in der Lauge.«
Sie öffnete die Tür. Wasser lief heraus, und ein muffiger Geruch
entwickelte sich. Sie zog eine Plastikwanne heran und wuchtete die triefnasse
Wäsche hinein.
»Was hast du vor?«, fragte Hambrock. »Willst du sie aufhängen?«
»Quatsch. Ich bringe sie nach draußen auf die Terrasse. Da kann sie
vor sich hinmuffen, bis wir wieder Strom haben.«
Sie ging in die Knie, wuchtete die Wanne hoch und taumelte unter dem
Gewicht.
»Lass mich das tragen«, sagte Hambrock und griff nach der Wanne.
Dabei berührten sich ihre Hände. Nur für eine Sekunde. Erschrocken
sah er auf. Ingeborg starrte ihn ebenfalls an. Es trennte sie nur eine Wanne
muffiger Wäsche. Sonst nichts.
Verlegen zog sie die Hände weg. Sie tat, als müsse sie die Anzeigen
an der Waschmaschine studieren.
»Auf die Terrasse?«, stammelte Hambrock.
»Genau. Auf die Terrasse.«
Er drehte sich um und stolperte aus der Waschküche. Was war da nur
gerade passiert? Verwirrt trug er die Wanne hinaus und stellte sie in eine
geschützte Ecke. Dann atmete er die kalte Luft ein. Er blickte über das Land.
Der Himmel war stahlgrau, es schneite und schneite, und nichts deutete darauf
hin, dass sich etwas daran ändern würde. Nur der Sturm hatte sich gelegt. Es
herrschte völlige Stille. Da war kein Auto, kein Vogel, gar nichts.
Auf dem Hof von Lütke-Brüning entdeckte er zwei Gestalten. Sie
kämpften sich mit eingezogenen Schultern durch den Schnee. Der eine war
Bertolt, der Jungbauer, Hambrock erkannte ihn an den feuerroten Haaren. Den
anderen hielt er anfangs für seinen Vater, doch dann wurde ihm klar, dass die
Bewegungen nicht die eines alten Mannes waren. Er kniff die Augen zusammen und
fixierte den Fremden. Aber er war zu weit entfernt. Kurz darauf verschwanden
die beiden hinter der Scheune.
Hambrock ging zurück ins Haus. Er war noch immer verwirrt und fragte
sich, wie er sich Ingeborg gegenüber verhalten sollte. Am liebsten hätte er
sich für ein paar Stunden verdrückt. Doch als er in die Diele trat, bemerkte
er, dass das gar nicht nötig war.
Oben in den Zimmern herrschte großes Geschrei. Die Kinder wurden
reisefertig gemacht. Im Flur lagen Taschen verstreut, drum herum Wäschestapel,
Schuhe, Spielzeug. Es wurden Jacken gesucht, Strümpfe hinter Betten hervorgezogen,
und immer wieder gab es Streit um Spielzeug, das von den Kindern heimlich ins
Gepäck geschmuggelt worden war.
Ihm wurde klar, dass Ingeborg bewusst einer peinlichen Begegnung
entgegengewirkt hatte. In dem Gewühl hatte nämlich keiner die Muße, sich um
einen Kommissar zu kümmern, dessen Gefühle durcheinandergeraten waren. Die
Merschkötters zankten sich und ignorierten ihn einfach.
Und Hambrock war sehr dankbar dafür.
21
Die Sachen der Kinder waren gepackt. Es konnte bald
losgehen. Nur Annis Handschuhe fehlten noch. Klara ging in die Küche, um dort
nach ihnen zu sehen, nebenan ertönte die durchdringende Stimme ihrer Mutter.
»Anni, verflucht, jetzt überleg mal! Wo hast du die Handschuhe denn
hingelegt? Die können doch nicht einfach weg sein!«
Klara blickte hinter die Küchenbank und unter den Tisch, doch sie
konnte sie nirgends entdecken. Ihr Blick fiel durch die gläserne Terrassentür.
Draußen sah sie Jens, der mit seinem Traktor den Weg zu ihnen herauffuhr. Er
drehte eine Schleife auf dem Hof und hielt dann vor dem Hintereingang. Die Tür
seines Führerhäuschens öffnete sich, er kletterte heraus und sprang in den
Schnee.
Klara trat eilig einen Schritt zur Seite, damit er sie nicht sehen
konnte. Seit sie auf dem Dachboden gewesen war, hatten sie nicht mehr
miteinander gesprochen. Sie hatten wortlos nebeneinander am Herdfeuer gesessen,
während die Polizei da gewesen war, und als Hambrock nach der Erstürmung des
Vereinshauses zurück zum Hof ihrer Mutter wollte, hatte sie sich ihm kurzerhand
angeschlossen.
Was Jens von alledem hielt, konnte sie nur vermuten. Doch sicherlich
war er enttäuscht von ihr. Sie hatte gestern Nacht keine Kraft mehr gehabt, um
ihre Beweggründe zu erklären. Außerdem würde er es ohnehin nicht verstehen.
Keiner würde das. Warum sollte sie sich da noch mit ihm herumstreiten?
Trotzdem plagte sie ein schlechtes Gewissen. Jens sah nicht gut aus.
Er war sehr blass, und seine Augen wirkten müde.
Plötzlich wünschte sie sich,
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