Schneetreiben
Anwalt und lächelte
falsch. »Mein Mandant ist sich durchaus bewusst, wie ernst die Situation ist.
Daher ist er auch fest entschlossen, von nun an uneingeschränkt mit Ihnen zu
kooperieren.«
Gratczek lächelte falsch zurück.
»Sie haben recht: Warten wir es ab.« Er wandte sich an Tilmann Feth.
»Weshalb haben Sie die Flucht ergriffen, als Sie Ihre Exfreundin im Graben
aufgefunden haben? Sie hätten die Polizei alarmieren müssen.«
»Ich wusste doch, wie das aussehen würde. Wenn die Polizei erst
einmal herausgefunden hätte, dass Sandra mit mir Schluss gemacht hat, dann
hätten mich ja alle für den Mörder gehalten. Ich wollte bei einem Freund in
Amsterdam untertauchen, nur für eine Weile, bis der Fall aufgeklärt ist.
Irgendwann hätten Sie doch Martin Probst gefasst, und dann wäre klar, wer den
Mord begangen hat.«
»Martin Probst hat also Ihre Exfreundin ermordet?«
»Wer sonst?«
Gratczek bedachte ihn mit einem langen Blick. »Wie kam es dazu, dass
Sie sich mit Probst das Versteck im Vereinshaus teilten?«
»Das war Zufall.«
»Zufall?«
»Ganz genau. Ich war schon eine Weile da, und plötzlich tauchte der
da auf.«
»Aus heiterem Himmel?«
»Aus heiterem Himmel.«
»Haben Sie mit ihm über Sandra gesprochen?«
»Nein.«
»Woher nehmen Sie dann die Gewissheit, dass er etwas mit der Tat zu
tun hat?«
»Keine Ahnung. Ich denke mir das einfach. Wir haben nicht darüber
geredet. Ich wusste nicht einmal, dass der Typ Martin Probst war. Er hat mir
gesagt, er wäre aus der Nachbarschaft und hätte sich mit seinen Eltern
gestritten. Deshalb sei er ins Vereinshaus.«
Die ganze Geschichte klang mehr als abenteuerlich, dachte Gratczek.
Er fragte sich, ob die Vernehmung einen anderen Verlauf genommen hätte, wenn
Heike da gewesen wäre.
»Und was ist mit Ihnen?«, fuhr er fort. »Wie sind Sie auf das
Vereinshaus gekommen? Man muss sich schon sehr gut in Birkenkotten auskennen,
um diese Idee zu haben.«
»Sandra hat mal davon erzählt. Ich habe mich daran erinnert, als ich
überlegt habe, wo ich untertauchen könnte.«
»Hat Sandra Ihnen auch gesagt, wo Sie den Schlüssel finden?«
»Nein. Eigentlich wollte ich ein Fenster einschlagen, doch dann habe
ich den Schlüssel zufällig gefunden. Er war nicht sehr gut versteckt. Jeder
wäre darauf gekommen.«
Gratczek wusste nicht, was er sagen sollte. Er sah zu dem Anwalt,
der ihm wieder sein unangenehmes Lächeln schenkte.
»Ich hätte auch dort nachgesehen«, bestätigte er. »Wenn ein
Schlüssel nicht unterm Blumentopf liegt, dann liegt er meist oben auf der
Strebe. Sie kennen das ja.«
Wieder sah Gratczek von einem zum anderen. Schließlich seufzte er
resigniert und warf seinen Bleistift auf den Tisch.
»Da haben Sie recht«, sagte er. »Ich kenne das.«
Sollte sich doch Heike mit diesen beiden Idioten herumschlagen.
Hambrock hatte nach dem Gespräch mit Klara nicht das
Gefühl, etwas entscheidend Neues erfahren zu haben. Er wusste nun eine Menge
über die Mitglieder der Birkenkottener Landjugend, über ihre Lebensentwürfe und
ihre Beziehungen untereinander. Trotzdem konnte er nirgends ein Mordmotiv
entdecken. Nichtsdestotrotz hatte er sich viele Notizen gemacht, in der
Hoffnung, dass ihm irgendetwas davon später nützlich sein würde.
Nach dem Gespräch ließ er Klara in ihrem Zimmer zurück und ging nach
unten. In der Diele traf er Ingeborg, die gerade telefonierte. Als sie
schließlich den Hörer auflegte, entdeckte sie Hambrock auf dem Treppenabsatz.
»Ein Glück, dass du das Telefon mitgebracht hast«, sagte sie. »Das
ist wirklich eine große Erleichterung. Ich habe gerade für Anni und Lino eine
Kinderverschickung organisiert. Ich lasse sie mit dem Trecker nach Stadtlohn zu
Schulfreunden bringen. Dort gibt es Strom und Wärme, und sie müssen sich keine
Lungenentzündung holen.«
»Mit dem Trecker? Du hast doch Schneeketten.«
»In Stadtlohn sollen die Straßen geräumt sein. Da komme ich mit
Schneeketten nicht weiter.«
Sie stopfte die losen Enden ihres Schals in die Strickjacke. Wie
macht sie das nur, fragte sich Hambrock, dass sie mehrere Schichten Kleidung
übereinander trägt und dennoch sexy aussieht? Er selbst ähnelte eher einem
Michelin-Männchen, und kalt war ihm außerdem.
»Jens ist so lieb und holt sie gleich ab. Er bringt sie mit dem
Trecker in die Stadt.« Sie rieb sich die Hände. »So. Und jetzt ist die Wäsche
dran.«
Ohne sich weiter um ihn zu kümmern, lief sie in die Waschküche.
Hambrock, der nichts Besseres
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