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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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ihn los zu sein. Nur für ein paar Tage,
bis die Sache mit Martin geklärt wäre. Danach konnten sie ihretwegen
weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Doch im Moment wäre es leichter für sie,
wenn sie sich nicht um ihn kümmern müsste.
    Sie erinnerte sich an den Ausdruck in Martins Augen, oben auf dem
Dachboden, als sie ihm das Messer an den Hals gehalten hatte. Sie hatte ihm
gesagt, dass sie ihm nicht verzeihen würde, und dann war passiert, womit sie
niemals gerechnet hatte. Sie hatte ihn verletzt. So unwahrscheinlich es auch
scheinen mochte – sie hatte die Kraft, ihm wehzutun. Der Gedanke daran erfüllte
sie mit so viel Glück, dass sie am liebsten aufgelacht hätte. Es war wie ein
Feuer, das von innen wärmte.
    Aus dem Vorratsraum drang die verärgerte Stimme ihrer Mutter.
    »Anni, kannst du mir mal bitte erklären, wie die Handschuhe zwischen
die Gläser mit den eingemachten Pflaumen kommen? Von allein werden die da wohl
nicht hingeflogen sein!«
    Dann veränderte sich ihre Stimme plötzlich, sie wurde weich und
freundlich. »Oh, hallo, Jens. Schön, dass du gekommen bist. Die Kinder sind
sofort startklar, es dauert nicht mehr lange.«
    Klara blickte zur Küchentür. Was sollte sie jetzt tun? Sie würde
Jens zumindest Guten Tag sagen müssen. Er war schließlich ihr Freund.
    Sie trat in die Diele, ihre Blicke trafen sich. Seine Augen waren
unergründlich. Sie lächelte gequält. »Hallo, Jens.«
    Er nickte seltsam förmlich. »Hallo.«
    Und das war es auch schon. Danach blieben sie stumm stehen und
betrachteten verlegen die Kinder, die sich umständlich die Schuhe banden,
angetrieben von den Ermahnungen ihrer Mutter. Klara sah verstohlen zu Jens
hinüber, doch sein Gesicht war wie eine Maske. So distanziert hatte sie ihn
noch nie erlebt.
    Ihre Mutter klatschte in die Hände. »Wenn ihr fertig seid, kann es
ja losgehen!«
    Lino sprang auf. »Klara soll auch mitkommen!«
    Nur das nicht!, dachte sie. »Nein, das geht nicht. Es wäre zu eng
auf dem Trecker.«
    »Klara soll mitkommen!«, rief nun auch Anni, und im Chor ging es
weiter. »Mitkommen! Mitkommen!«
    »Ach, warum denn nicht?«, meinte ihre Mutter lachend. »Das geht
schon irgendwie. Jens kann Lino auf seinen Schoß nehmen, und dann ist genügend
Platz für dich und Anni auf dem Kindersitz.«
    Klara hätte am liebsten aufgestöhnt. Doch das war natürlich
unmöglich, schließlich stand Jens noch immer mit versteinertem Gesicht in der Tür.
Merkte ihre Mutter denn gar nicht, was hier passierte?
    »Mitkommen! Mitkommen!«, johlten die Kinder immer noch.
    Klara hob die Hände. »Ist ja schon gut, ich komme mit.«
    Sie brachen in Jubel aus und sprangen um sie herum. Trotz der
Anspannung musste sie über die beiden lachen. Sie nahm die eine Reisetasche und
Jens die andere, dann ging es hinaus auf den Hof. In der Tür wechselte sie
einen Blick mit ihrer Mutter, und da begriff sie, dass die keineswegs so
unsensibel war, wie sie gedacht hatte, sondern ganz im Gegenteil bewusst
gefördert hatte, dass Klara mitfuhr. Sie wollte, dass sich die beiden
aussprachen.
    Klara war wütend auf ihre Mutter. Doch es war jetzt zu spät, um
etwas zu ändern. Kurz darauf hockte sie bereits mit Jens und den beiden Kindern
im engen Führerhaus des Traktors.
    Anni und Lino bemerkten nichts von der frostigen Stimmung. Dazu gab
es unterwegs einfach zu viel zu sehen. Wohin sie auch blickten, ganz
Birkenkotten war im Schnee versunken. An der Gärtnerei Kentrup standen zwei
Bauern mit Motorsägen und bearbeiteten die Äste eines Apfelbaums, der unter dem
Schnee zusammengebrochen war. Ein paar hundert Meter weiter, bei Krächtings
Mühle, lag ein verwaister Lkw im Straßengraben. Und als dann kurz darauf noch
ein großes Feuerwehrauto mit Blaulicht vor ihnen auftauchte, waren sie vollends
aus dem Häuschen. Für die Kinder war alles ein großes Abenteuer.
    In Stadtlohn waren die Straßen geräumt. Hohe Schneeberge türmten
sich links und rechts am Wegesrand. Der Parkplatz vor dem Supermarkt stand
voller Schlepper, mit denen die Frauen aus den umliegenden Bauernschaften
angereist waren, um sich mit Kerzen und Batterien einzudecken. Doch auch viele
Stadtlohner waren unterwegs. Keiner konnte vorhersagen, wie lange die
Stromversorgung halten würde, alle hatten im Fernsehen die Bilder der
Hochspannungsmasten gesehen, die überall wie Streichhölzer umgeknickt waren.
    Als sie das Einfamilienhaus erreichten, in dem Annis und Linos
Schulkameraden wohnten, sprangen die Kinder aus dem Trecker

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