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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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tauchte in seinen Gedanken auf, sie lag vor
ihm auf dem Kellerfußboden und rührte sich nicht mehr. Sie war der einzige
Mensch gewesen, der ihn je geliebt hatte. War dies der Preis, den sie dafür
zahlen musste?
    Gewaltsam schob er das Bild beiseite. Er würde sich keine Schwächen
mehr gestatten. Das war ein für alle Mal vorbei.
    Er trat vorsichtig hinter der Böschung hervor und stapfte durch den
hohen Schnee zur anderen Straßenseite. Er brauchte ein Versteck, von wo aus er
den Hof beobachten konnte. Wenn er lange genug wartete, würde Klara schon
herauskommen.
    Und dann gab es nichts mehr, was ihn noch aufhalten konnte.

26
    Der Partyraum leuchtete im Widerschein der zahllosen
Kerzen. Es war ein warmes und freundliches Licht. Die Züge der anderen sahen
darin weich und verschwommen aus, wie in einem Traum. Wenn sie sich die laute
Musik wegdachte, die vielen Stimmen und das durchdringende Gelächter, dann
wirkte der Ort ganz friedlich.
    Jens ging es gut, er würde keine bleibenden Schäden davontragen. Das
hatte der Arzt gesagt, der hier gewesen war. Aus einiger Entfernung hatte Klara
beobachtet, wie ihr Freund auf einer Trage in den Krankenwagen geschoben wurde.
Sie hatte den Rücklichtern des Wagens nachgesehen, bis er hinter einer Kurve
verschwunden war.
    Frau Burtrups Worte brannten in ihrem Kopf. Klara wusste, dass sie
mit jedem Wort die Wahrheit gesagt hatte. Sie war es, die die Schuld an dem
trug, was geschehen war. Sie allein war verantwortlich dafür, dass Jens beinahe
gestorben wäre. Bewegungslos stand sie am Rand der Tanzfläche, jemand drängte
sich vorbei und stieß sie an. Sie stolperte zurück und taumelte. Die
Kerzenlichter begannen sich zu drehen. Ihr wurde schwindelig. Sie wollte
plötzlich nur noch raus hier. Nach Hause. Allein sein.
    Doch was sollte sie Lina sagen? Sie hatte ihr am Nachmittag
versprochen, sie nicht mehr auszuschließen. Wenn sie jetzt gehen wollte, müsste
sie das erklären. Also würde sie so tun, als wäre alles in Ordnung. Sich
zusammenreißen und hier bleiben. Dann würde Lina sie auch in Ruhe lassen.
    Ihre Freundin stand am Tresen und winkte ihr zu. Dann nahm sie ein
Tablett und drängte sich durch die tanzende Menge zu ihr hindurch.
    »Komm schon, Klara! Wir trinken U-Boote.«
    Auf dem Tablett standen zwei Gläser Bier und zwei Kirschliköre.
    »Bitte keine U-Boote!«
    »Keine Chance, Süße. Schließlich ist das hier kein
Kindergeburtstag.«
    Lina ließ die Likörgläser ins Bier sinken. Klara beobachtete, wie
tiefrote Wolken über den Grund quollen.
    Als wäre es Blut.
    »Zum Wohl, meine Liebe! Und lass dich von der blöden Burtrup nicht
in die Knie zwingen.«
    Klara lächelte gequält, dann stieß sie mit Lina an und leerte das
Glas in einem Zug.
    »Na also, so gefällst du mir schon besser. Und jetzt lass uns
tanzen.«
    Nur das nicht!, dachte sie.
    »Ich komme gleich nach. Ich besorge mir nur eine Zigarette. Bin
sofort wieder da.«
    Sie ließ ihre Freundin stehen und floh nach draußen. Dort atmete sie
durch. Es kostete sie Kraft, normal zu wirken. Doch ihr blieb nichts anderes
übrig.
    Von einem Bekannten schnorrte sie sich im Vorbeigehen eine
Zigarette, dann beugte sie sich über eine der Partyfackeln und zündete sie an.
Sie stellte sich in den Schnee und blies den Rauch in die kalte Luft hinaus.
Das Nikotin legte sich sanft über ihre Sinne. Sie ging ein paar Schritte den
Weg hinunter und inhalierte nochmals. Ohne es zu merken, entfernte sie sich
immer weiter von der Party.
    Sie hielt inne und drehte sich um.
    Keiner würde es merken, wenn sie sich einfach umdrehte und nach
Hause ging. Es waren keine hundert Meter bis zum Hof ihrer Mutter.
    Sie warf die Zigarette in den Schnee. Lina würde sauer sein. Doch
vielleicht könnte sie ihr morgen alles erklären. Morgen sah bestimmt alles
anders aus.
    Sie wandte sich ab und verließ den Hof von Lütke-Brüning. Nur ein
paar Minuten noch, dann würde sie endlich in ihrem Bett liegen.
    Nach dem Essen räumte Ingeborg Teller und Besteck zusammen
und brachte alles in die Küche. Hambrock nutzte die Gelegenheit und schloss
sich ihr an. Er hatte keine Lust, bei den alten Leuten aus der Nachbarschaft am
Herdfeuer zu sitzen. Die Stimmung war gedrückt, seit Jens ins Krankenhaus
gebracht worden war. Zudem gab es keinen in der Runde, von dem er sich noch
Informationen für seine Ermittlung erhoffte.
    Ingeborg stellte das schmutzige Geschirr auf die Anrichte und ließ
kaltes Wasser ins Spülbecken laufen. Auch sie wirkte noch

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