Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
»Falls Sie sich dafür erwärmen könnten, hätten Sie die Wahl zwischen cremig und noch cremiger. Wobei ich mich an Ihrer Stelle für noch cremiger entscheiden würde.«
»Noch cremiger machen ihre Zähne nicht mit«, bemerkte Jamila Hartwig bissig.
Doch darauf ging Winnie gar nicht erst ein.
»Gern, Miss«, flüsterte Karina Eichenberg mit einem dankbaren Lächeln. »Sehr freundlich von Ihnen.«
Winnie nickte und griff nach dem Schraubglas hinter dem Schild LINDENBLÜTEN CREMIG . »Hier, bitte sehr. Guten Appetit.«
Karina Eichenberg griff nach dem Löffel, befüllte eine kleine Porzellanschale und zog mit ihrer Beute von dannen.
»Neu hier?«, fragte Jamila Hartwig, wobei sie Winnie einer ebenso gründlichen wie indiskreten Musterung unterzog.
»Ja.«
»Freiwillig, oder hat Sie das Amt geschickt?«
Können Sie irgendetwas?
»Freiwillig.«
»Und würden Sie uns freundlicherweise auch verraten, wie wir Sie ansprechen dürfen?« Jamila Hartwig bleckte ihre Zähne, die tatsächlich den Anschein machten, als seien sie noch ihre eigenen. »Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber ich persönlich finde He-Mi-hiss übertrieben und ehrlich gesagt auch ziemlich despektierlich.«
Ironisch, blitzgescheit, aber tatsächlich auch brandgefährlich, urteilte Winnie im Stillen.
Hüte dich vor dem raffinierten alten Drachen …
»Ich heiße Winifred. Aber ich würde es vorziehen, wenn Sie mich Winnie nennen.«
»Winifred?« Die alte Dame zog ihre ziemlich imposante Nase in zieharmonikaähnliche Falten. »Tja, ich hoffe, Sie nehmen mir auch das nicht krumm, aber ich konnte Wagners Musik noch nie ausstehen.«
»Ich auch nicht«, gab Winnie zu.
»Unser alter Intendant hat uns mal den kompletten
Ring
angetan«, berichtete der Drache mit einem zufriedenen Grinsen. Offenbar hatte sie sich spontan dafür entschieden, Winnie zu mögen. »Gottlob verteilt über vier Spielzeiten. Trotzdem eine Tortur, sage ich Ihnen. Vor allem die Stelle, wo sich Brünnhild und Siegfried gegenseitig die Heils um die Ohren brüllen.«
»Dass sie das nach ’45 nicht gestrichen haben, verstehe ich einfach nicht«, bemerkte eine andere alte Dame, die gerade dabei war, sich an der gefährlichen Aprikosenmarmelade zu bedienen.
»Ich auch nicht«, brummte Jamila Hartwig. »Aber wenn du das Wort Schwarzes Brett benutzt, behaupten sie gleich, du seist ein Rassist.«
Winnie lachte, obwohl sie beim Stichwort »Heil« automatisch an Karlheinz Rogolny denken musste. An das Massaker, das Ackermanns erstes Opfer befohlen hatte. Und an die Art und Weise, wie Ackermann selbst schließlich zu Tode gekommen war.
Eine uralte Foltermethode vor einem Grabstein, der den Namen eines Massenmörders trug …
Winnie schüttelte unwillig den Kopf. Es schmeckte ihr ganz und gar nicht, dass sie gezwungen war, alle Recherchen in dieser Richtung ihren Kollegen zu überlassen, nur weil Hinnrichs glaubte, sie auf gut Glück an diesen seltsamen Ort schicken zu müssen.
Neben ihr war Jamila Hartwig noch immer mit Wagner und seinem
Ring
beschäftigt. »Vier Teile, und einer scheußlicher als der andere«, echauffierte sie sich. »Und das Allerschönste ist: Wenn Ihnen dann nach sechs Stunden Krach so richtig schön der Hintern eingeschlafen ist, stellen Sie fest, dass alle Restaurants ringsum bereits geschlossen sind, sodass Sie den ganzen Mist auch noch mit leerem Magen verarbeiten müssen.«
Die Frau neben ihr nickte. »
Martha
und die
Zauberflöte
«, erklärte sie im Brustton der Überzeugung. »Alles andere können Sie nicht ertragen.«
»Aber selbst dann bringen sie es noch fertig, die Königin der Nacht nackt singen oder auf die Bühne pinkeln zu lassen«, knurrte der raffinierte alte Drachen. »Und für so was haben wir unser Leben lang Steuern bezahlt.«
Vor Winnie Hellers innerem Auge blitzte für einen flüchtigen Augenblick das Gesicht der blonden Fiat-Panda-Fahrerin auf, und sie überlegte, ob Hauptwachtmeister Wecker wohl tatsächlich Meldung gemacht hatte. Oder ob die Sache letztlich doch einfach im Sande verlaufen würde.
Ihnen ist aber schon bewusst, dass Sie gerade gegen eine ganze Reihe von Verkehrsregeln verstoßen haben …
»Oho. Ein neues Gesicht?«, bemerkte in diesem Augenblick eine sonore Männerstimme hinter ihr.
Winnie drehte sich um.
»Sie heißt Winifred«, übernahm die dominante Frau Hartwig wie selbstverständlich die Vorstellung. »Sie ist nicht vom Amt, und was das Beste ist: Sie ist ganz und gar nicht dumm.«
Na, vielen Dank auch,
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