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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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nicht überwinden können, hineinzugehen. Sie hatte der Stille gelauscht, die nur durch das leise Rascheln des Papiers auf seinem Schreibtisch unterbrochenworden war. Sie hatte gemeint, in ihrem dünnen kurzen Sommerkleid ersticken zu müssen, und wäre beinahe davongelaufen. Doch dann hatte sie sich doch noch einen Ruck gegeben, den Haarknoten auf ihrem Kopf gelöst und war barfuß auf Zehenspitzen über den kühlen Linoleumfußboden in sein Zimmer geschlichen. Noch heute hatte sie sein Lächeln vor Augen, als er zu ihr aufgesehen hatte. Nicht der geringste Ausdruck von Überraschung war darin zu lesen gewesen. Als sie die Bürotür leise hinter sich geschlossen und sich von innen dagegengelehnt hatte, war sie sicher gewesen, dass er auf sie gewartet hatte. Keiner von ihnen hatte auch nur ein einziges Wort gesprochen. Damals, als sie sich das erste Mal geliebt hatten, waren es Abenteuer und Lust gewesen, die sie verbanden. Sie hatten einander begehrt und das hatte ihr anders als heute früher gereicht. Sie hatte es genossen, wenn die Lichter der Praxis erloschen und alle außer ihm heimgegangen waren, in sein Büro zu schleichen und mit ihm zu schlafen. Heute fühlte sie sich billig dabei. Am Anfang hatte es sich gut angefühlt, ihn zu Ärztekongressen nach Berlin oder sogar Paris zu begleiten, und sie hatte sich nicht im Geringsten daran gestört, am Tag mit seiner Kreditkarte in der Handtasche allein durch die Städte zu streifen, um ihn am Abend im Hotel für eine weitere heimliche Nacht wiederzutreffen.
    Das, was einst wunderbar war, hatte mittlerweile seinen Reiz verloren, und irgendwann hatte sie aufgehört, sich unwiderstehlich und begehrenswert zu finden. Sie fühlte sich leer und fast ein bisschen missbraucht. Wenn er sie in den letzten Monaten nach einem kurzen Stelldichein in der Praxis oder ihrer Wohnung verlassen hatte und zum Abendessen nach Hause aufgebrochen war, hatte sie sich nur nochelend und einsam gefühlt. Sie war Anfang dreißig und wollte mehr sein als eine Mätresse. Sie verdiente es, geliebt zu werden, und hatte zudem die Heimlichtuerei satt.
    Susan machte kehrt und passierte die Straße. Es war Zeit hineinzugehen. Sie hatte ein Recht darauf, ihn allein zu besitzen, und war um keinen Preis bereit, ihn aufzugeben, auch wenn sie ihm heute ein Ultimatum zu stellen gedachte.

12
    »Johannes, wo bist du?«, rief Carla.
    »Ich bin hier hinten in der Sattelkammer«, antwortete der Stallmeister.
    Carla lief zwischen den Pferdeboxen hindurch und stieß hektisch die Tür zur Kammer auf.
    »Johannes, hast du meine Reitgerte gesehen?«, fragte sie außer Atem.
    »Nein, wieso? Ich wollte eigentlich gleich Feierabend machen.« Hansen zog den Reißverschluss seiner Steppweste zu und knipste das Licht in dem an die Sattelkammer angrenzenden Aufenthaltsraum aus. Smilla lag zusammengerollt in der Ecke und blickte auf, als sie Carla sah. Sie wedelte zwar mit dem Schwanz, rührte sich aber nicht vom Fleck. Ihr Hinterlauf war nach wie vor bandagiert und hatte sich zu allem Überfluss auch noch entzündet.
    »Johannes, ich bin vorhin drüben in der Halle geritten und habe meine Gerte dort auf die Bank gelegt, als ich Da Vinci von der Longe getrennt habe. Da bin ich absolut sicher. Sie ist nicht mehr da!«
    »Carla?« Hansen machte einen Schritt auf sie zu und sah sie schweigend an.
    Carla kannte den Blick, mit dem er Hanna immer angesehen hatte, wenn sie wieder geglaubt hatte, irgendetwas sei verschwunden und nicht mehr an seinem Platz.
    »Sie ist nicht mehr da, Johannes, und ich habe sie wirklich dort abgelegt«, flüsterte Carla.
    Hansen nahm sie in den Arm. »Beruhige dich, Carla«, sagte er. »Es wird eine ganz einfache Erklärung dafür geben.« Er fasste sie bei den Schultern und schob sie wieder ein Stück von seinem Körper weg. »Wer war denn außer dir noch in der Halle? Vielleicht hat sie jemand mitgenommen?«
    »Es war niemand da«, flüsterte Carla.
    »Ich gehe mit dir rüber. Wir sind gleich wieder da, Smilla«, fügte er über die Schulter in Richtung des Hundes hinzu und schritt Carla voran durch die Dämmerung auf die offenstehende Tür der beleuchteten Halle zu. Das Pferd Da Vinci, das sie an dem Geländer festgemacht hatte, das vor der Sitzbank angebracht war, spitzte die Ohren, als sie eintraten.
    »Wo hast du die Gerte hingelegt?«
    »Auf die Bank, Johannes.«
    Hansen blickte auf das Besucherpodest und bückte sich dann, um unter die Sitzbank sehen zu können. »Ich finde sie auch nicht«,

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