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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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machen wollte. Mutter, glaub mir, es ist mir scheißegal, was mit ihm ist.«
    Plötzlich war alles wieder ganz nah. Schon wieder pfuschte ihm sein Vater in sein Leben, gerade jetzt, wo er seine ganze Kraft und Konzentration brauchte, um seinen Job und seine Zukunft zu retten! Der Zorn kochte in ihm hoch. Warum konnten sie ihn nicht endlich in Ruhe lassen? Längst vergessen geglaubte Bilder drängten sich ihm auf, ungefragt und unerwünscht, aber er war machtlos gegen die Erinnerungen und die Empfindungen, die mit ihnen kamen. Er wusste, dass sein Vater Lauras Mutter, die damals als Haushälterin in der Villa gearbeitet hatte, regelmäßig in einem der Gästezimmer unterm Dach gevögelt hatte, wenn seine Mutter nicht da war. Aber das hatte ihm nicht ausgereicht. Er musste auch noch die Tochter seiner Leibeigenen, als die er seine Angestellten und das ganze Dorf zu betrachten pflegte, ins Bett zerren –
ius primae noctis,
wie ein Feudalherr im Mittelalter!
    Während seine Mutter mit selbstmitleidiger Stimme irgendetwas vor sich hin quasselte, dachte Lars an jenen Abend. Er war vom Firmunterricht nach Hause gekommen und in der Diele beinahe mit Laura zusammengestoßen, die mit verheultem Gesicht an ihm vorbei ins Freie gestürmt war. Nichts hatte er kapiert damals, als sein Vater aus dem Wohnzimmer gekommen war, sein Hemd in den Hosenbund stopfend, hochrot im Gesicht, mit wirrem Haar. Dieses Schwein!
    Laura war damals gerade vierzehn. Erst viele Jahre später hatte Lars seinem Vater vorgeworfen, mit Laura geschlafen zu haben, doch der hatte alles abgestritten. Das Mädchen sei in ihn verliebt gewesen, aber er habe ihre Annäherungsversuche zurückgewiesen. Lars hatte ihm geglaubt. Welcher Siebzehnjährige wollte von seinem Vater Schlechtes denken? Im Nachhinein hatte er an den Unschuldsbeteuerungen seines Vaters gezweifelt. Viel zu oft hatte er ihn angelogen.
    »Lars?«, fragte seine Mutter. »Bist du noch dran?«
    »Ich hätte der Polizei damals die Wahrheit sagen sollen«, antwortete er mit mühsam beherrschter Stimme. »Aber mein eigener Vater hat mich zum Lügen gezwungen, nur damit sein Name nicht beschmutzt wird! Was ist jetzt passiert? Hat er sich auch diesmal das Mädchen geschnappt, das vermisst wird?«
    »Wie kannst du so etwas Ungeheuerliches sagen?« Die Stimme seiner Mutter klang schockiert. Christine Terlinden war eine Meisterin des Selbstbetrugs. Was sie nicht hören oder sehen wollte, das überhörte und übersah sie ganz einfach.
    »Mach doch endlich mal die Augen auf, Mutter!«, sagte Lars scharf. »Ich könnte noch viel mehr sagen, aber ich tue es nicht. Weil für mich das ganze Kapitel beendet ist, verstehst du? Es ist vorbei. Ich muss jetzt Schluss machen. Ruf mich bitte nicht mehr an.«
    Das Restaurant, in dem Claudius Terlinden den Samstagabend mit Ehefrau und Freunden verbracht hatte, lag in der Guiolettstraße, gegenüber den gläsernen Zwillingstürmen der Deutschen Bank, das hatte seine Frau Pia am Vorabend mitgeteilt.
    »Lass mich hier aussteigen und komm nach, wenn du einen Parkplatz gefunden hast«, entschied Bodenstein, als Pia zum dritten Mal von der Taunusanlage in die Guiolettstraße eingebogen war. Parken war vor dem noblen Ebony Club unmöglich, deshalb warteten Pagen in englischen Wagenmeister-Uniformen vor der Eingangstür darauf, die Karossen der Gäste zu übernehmen und für die Dauer ihres Aufenthaltes in der Tiefgarage abzustellen. Pia fuhr rechts ran, Bodenstein stieg aus und lief mit eingezogenem Genick durch den strömenden Regen zur Eingangstür. Er wurde nicht aufgehalten, als er am
Please wait to be seated-Schild
vorbeiging. Der Empfangschef und die Hälfte des Personals machten gerade großes Aufheben um irgendeinen Promi mit seiner Entourage, der keinen Tisch vorbestellt hatte. Das Restaurant war um die Mittagszeit gut besucht, offenbar hatte die Krise den Managern aus den umliegenden Banken die Lust am Luxuslunch nicht verdorben. Bodenstein sah sich neugierig um. Er hatte schon viel vom Ebony Club gehört, das Restaurant im indischen Kolonialstil gehörte zu den teuersten und derzeit angesagtesten der Stadt. Sein Blick fiel auf ein Paar an einem Zweiertisch auf der Empore etwas weiter hinten. Ihm stockte der Atem. Cosima. Wie gebannt lauschte sie einem widerlich gutaussehenden Mann, der mit großen, temperamentvollen Gesten irgendetwas zu erklären schien. Die Art und Weise, wie Cosima dasaß, leicht vorgebeugt, die Ellbogen aufgestützt und das Kinn auf die

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