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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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gefasst gewesen, sie in Gesellschaft eines anderen Mannes zu sehen. Gierig sog er an der Zigarette, inhalierte den Rauch so tief er konnte. Ihm wurde schwindelig, als rauche er einen Joint und keine Marlboro. Allmählich verlangsamte das Karussell der sich überstürzenden Gedanken seine rasende Fahrt und blieb stehen. In seinem Kopf herrschte eine tiefe, leere Stille. Er saß auf einer Treppenstufe mitten in Frankfurt und fühlte sich abgrundtief einsam.
    Lars Terlinden hatte den Hörer auf die Gabel geknallt und saß nun seit ein paar Minuten reglos da. Oben wartete der Vorstand auf ihn. Die Herren waren extra aus Zürich angereist, um zu hören, wie er gedachte, die 350 Millionen, die er in den Sand gesetzt hatte, wieder aufzutreiben. Leider hatte er keine Lösung zur Hand. Sie würden ihn anhören und danach mit falsch-freundlichem Lächeln in Stücke reißen, diese arroganten Arschlöcher, die ihm vor einem Jahr wegen dieses gigantischen Deals noch kumpelhaft auf die Schulter geklopft hatten. Wieder klingelte das Telefon, diesmal die interne Leitung. Lars Terlinden ignorierte es. Er öffnete die oberste Schreibtischschublade und entnahm ihr einen Bogen Geschäftsbriefpapier und seinen Montblanc-Füllfederhalter, ein Geschenk seines Chefs aus besseren Zeiten, den er nur dazu benutzte, Verträge zu unterschreiben. Eine volle Minute starrte er auf das leere, cremefarbene Blatt, dann begann er zu schreiben. Ohne das Geschriebene noch einmal durchzulesen, faltete er das Blatt und steckte es in einen gefütterten Umschlag. Er schrieb eine Adresse auf den Briefumschlag, stand auf, ergriff seine Aktentasche und den Mantel und verließ sein Büro.
    »Das muss heute noch raus«, sagte er zu seiner Sekretärin und ließ den Umschlag auf ihren Schreibtisch fallen.
    »Selbstverständlich«, erwiderte sie spitz. Früher einmal war sie Vorstandsassistentin gewesen, und noch immer hielt sie es für unter ihrer Würde, Sekretärin eines Abteilungsleiters zu sein. »Sie denken an Ihren Termin?«
    »Natürlich.« Er ging schon weiter, blickte sie nicht einmal an.
    »Sie sind schon sieben Minuten zu spät!«
    Er trat hinaus auf den Flur. Vierundzwanzig Schritte bis zum Aufzug, der mit geöffneten Türen ungeduldig auf ihn zu warten schien. Oben, im zwölften Stock, saß seit sieben Minuten der versammelte Vorstand. Seine Zukunft stand auf dem Spiel, sein Ansehen, ja sein ganzes Leben. Hinter ihm schlüpften noch zwei Kolleginnen aus dem BackOffice in den Aufzug. Er kannte sie flüchtig vom Sehen, nickte ihnen abwesend zu. Sie kicherten und tuschelten, erwiderten sein grüßendes Nicken. Die Tür schloss sich lautlos. Er erschrak, als er im Spiegel den Mann mit dem eingefallenen Gesicht sah, der seinen Blick aus stumpfen, deprimierten Augen erwiderte. Müde war er, unendlich müde und ausgebrannt.
    »Wohin geht's?«, fragte die Brünette mit den Kulleraugen. »Nach oben oder nach unten?«
    Ihr Finger mit dem langen, künstlichen Fingernagel verharrte abwartend über dem digitalen Innentableau. Lars Terlinden konnte sich nicht vom Anblick seines Gesichts im Spiegel lösen.
    »Nach unten geht's«, erwiderte er. »Ganz nach unten.«
    Pia Kirchhoff betrat den Ebony Club und nickte dem Portier, der ihr schwungvoll die Tür geöffnet hatte, dankend zu. Erst kürzlich hatten Christoph und sie hier mit Henning und Miriam gegessen. Fünfhundert Euro hatte Henning für das Essen berappen müssen, völlig übertrieben in ihren Augen. Pia hatte nicht viel übrig für Schickimicki-Locations, kryptische Speisekarten und Weinkarten, in denen der Preis für eine einzige Flasche schon mal im vierstelligen Bereich liegen konnte. Da sie Weine nicht nach ihrem Etikett, sondern ihrem persönlichen Geschmacksempfinden beurteilte, reichte ihr zum Essen ein Bardolino oder Chianti in der Pizzeria um die Ecke für einen gelungenen Abend.
    Der Empfangschef krabbelte von seinem Hochsitz und steuerte mit einem strahlenden Lächeln auf sie zu. Pia hielt ihm wortlos ihre Kripomarke vor die Nase. Sofort kühlte sein Lächeln um einige Grade ab. Eine potentielle Maharadscha-Menü-Kundin hatte sich vor seinen Augen unversehens in eine Kröte verwandelt, die niemand gerne schluckte. Die Kriminalpolizei war nirgendwo gern gesehen, schon gar nicht in einem Nobelrestaurant im Mittagsgeschäft.
    »Darf ich erfahren, um was es geht?«, säuselte der Empfangschef.
    »Nein«, erwiderte Pia trocken. »Dürfen Sie nicht. Wo ist der Manager?«
    Das Lächeln verschwand völlig.

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