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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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jetzt, nach elf Jahren? Gregor Lauterbach stand auf und schleppte sich ins benachbarte Badezimmer. Die Hände auf das Waschbecken gestützt, starrte er sein unrasiertes, übernächtigtes Gesicht im Spiegel an. Sollte er sich krankmelden, auf Tauchstation gehen, bis der Sturm, der am Horizont heraufzog, an ihm vorbeigerauscht war? Nein, unmöglich. Er musste so weiterleben wie bisher, durfte sich auf keinen Fall verunsichern lassen. Seine Karriereplanung war mit dem Amt des Kultusministers nicht beendet, er konnte in politischer Hinsicht noch sehr viel mehr erreichen, wenn er sich jetzt nicht von Schatten aus der Vergangenheit einschüchtern ließ. Er durfte nicht zulassen, dass eine einzige Verfehlung, die überdies schon elf Jahre zurücklag, sein Leben zerstörte. Lauterbach straffte die Schultern und warf seinem Spiegelbild einen entschlossenen Blick zu. Auf seinem Posten standen ihm jetzt Mittel und Möglichkeiten zur Verfügung, von denen er damals nicht zu träumen gewagt hätte. Und das würde er ausnutzen.
    Es war noch dunkel, als Pia am geschlossenen Tor des Terlinden'schen Anwesens klingelte. Trotz der frühen Uhrzeit dauerte es nicht lange, bis die Stimme von Frau Terlinden aus der Sprechanlage klang. Kurz darauf öffneten sich die Flügel des Tores wie von Geisterhand. Pia setzte sich auf den Beifahrersitz des zivilen Dienstwagens, an dessen Steuer Bodenstein saß. Gefolgt von einem Streifenwagen und einem Abschleppwagen, fuhren sie über die noch jungfräuliche Schneedecke die gewundene Auffahrt entlang. Christine Terlinden erwartete sie mit einem freundlichen Lächeln an der Haustür, das unter den gegebenen Umständen so unangemessen war wie der höfliche Gruß, den Pia sich ihrerseits sparte. Ein guter Morgen würde es zumindest für Herrn Terlinden nicht werden.
    »Wir möchten mit Ihrem Mann sprechen.«
    »Ich habe ihm schon Bescheid gegeben. Er wird gleich hier sein. Kommen Sie doch herein.«
    Pia nickte nur, auch Bodenstein blieb stumm. Sie hatte ihn gestern noch angerufen und danach noch eine halbe Stunde mit dem zuständigen Staatsanwalt telefoniert, der einen Haftbefehl verweigert, aber einen Durchsuchungsbeschluss für Terlindens Auto genehmigt und beim Gericht beantragt hatte. Sie standen in der imposanten Eingangshalle und warteten. Die Hausherrin war verschwunden, irgendwo in einem entfernten Trakt bellten die Hunde. »Guten Morgen!«
    Bodenstein und Pia blickten auf, als Claudius Terlinden nun die Treppe aus dem oberen Stockwerk herunterkam, tadellos gekleidet in Anzug und Krawatte. Sein Anblick ließ Pia diesmal kalt.
    »Sie sind früh unterwegs.« Er blieb lächelnd vor ihnen stehen, ohne ihnen die Hand zu reichen.
    »Woher stammt die Delle im Kotflügel Ihres Mercedes?«, fragte Pia ohne jede Einleitung.
    »Wie bitte?« Er hob erstaunt die Augenbrauen. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
    »Dann werde ich Ihnen mal auf die Sprünge helfen.« Pia ließ ihn nicht aus den Augen. »Am Sonntag erstattete ein Anwohner der Feldstraße Anzeige wegen Fahrerflucht, weil ihm jemand nachts in sein Auto gefahren ist. Er hatte es um zehn vor zwölf vor seinem Haus abgestellt und stand zufällig um 0:33 Uhr auf seinem Balkon, um eine Zigarette zu rauchen, als er ein Krachen hörte. Er konnte das Auto des Unfallverursachers sehen und sogar das Kennzeichen entziffern: MTK-T 801.«
    Terlinden sagte keinen Ton. Sein Lächeln war verschwunden. Eine vom Hals aufsteigende Röte breitete sich auf seinem Gesicht aus.
    »Am nächsten Morgen erhielt der Mann einen Anruf.« Pia erkannte, dass sie ihn getroffen hatte, und setzte gnadenlos nach. »Von Ihnen. Sie boten ihm an, die ganze Angelegenheit unbürokratisch zu regeln, und tatsächlich – der Mann zog seine Anzeige zurück. Leider war sie damit aber nicht aus dem Polizeicomputer verschwunden.«
    Claudius Terlinden starrte Pia mit ausdrucksloser Miene an.
    »Was wollen Sie von mir?«, fragte er mit mühsamer Beherrschung.
    »Sie haben uns gestern angelogen«, entgegnete sie und lächelte liebenswürdig. »Da ich Ihnen wohl nicht erklären muss, wo sich die Feldstraße befindet, frage ich Sie jetzt noch einmal: Sind Sie auf dem Rückweg von Ihrer Firma am Schwarzen Ross vorbeigefahren, oder haben Sie den Schleichweg übers Feld und dann die Feldstraße entlang genommen?«
    »Was soll das alles?« Terlinden wandte sich an Bodenstein, aber der schwieg. »Was wollen Sie mir unterstellen?«
    »Amelie Fröhlich ist in dieser Nacht verschwunden«, antwortete Pia

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