Schneewittchen muss sterben
Bodenstein. »Mir reicht es jetzt mit diesem Kindergarten. Behnke, stehen Sie auf.«
Frank Behnke gehorchte. Sein Gesicht war vor Schmerz und Hass verzerrt. Er öffnete den Mund, aber Bodenstein ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Ich dachte, Sie hätten verstanden, was Frau Dr. Engel und ich Ihnen gesagt haben«, sagte er eisig. »Sie sind mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert!«
Behnke starrte ihn stumm an, dann ging er zu seinem Schreibtisch, schnappte die Jacke, die er über die Lehne seines Stuhles gehängt hatte.
»Die Marke und Ihre Dienstwaffe lassen Sie hier«, befahl Bodenstein.
Behnke schnallte die Waffe ab, warf sie und die Marke achtlos auf den Schreibtisch.
»Ihr könnt mich alle mal am Arsch lecken«, stieß er hervor, drängte sich an Bodenstein vorbei und verschwand. Für einen Moment herrschte völlige Stille.
»Was hat die Vernehmung von Terlinden ergeben?«, wandte Bodenstein sich an Kathrin Fachinger, als sei nichts geschehen.
»Ihm gehört der Ebony Club in Frankfurt«, erwiderte sie. »Genauso wie das Schwarze Ross und das andere Restaurant, von dem Andreas Jagielski Geschäftsführer ist.«
»Und? Was noch?«
»Mehr war nicht aus ihm herauszubekommen. Aber ich finde, das erklärt einiges.«
»Ach? Was denn?«
»Claudius Terlinden hätte Hartmut Sartorius nicht finanziell unterstützen müssen, hätte er ihm nicht selbst mit der Eröffnung vom Schwarzen Ross die Existenz zerstört«, entgegnete Kathrin. »Meiner Meinung nach ist er alles andere als ein barmherziger Samariter. Er hat Sartorius zuerst ruiniert, dann aber verhindert, dass er den Hof verliert und Altenhain verlässt. Garantiert hat er in dem Dorf noch mehr Leute in der Hand, zum Beispiel diesen Jagielski, den er zum Geschäftsführer seiner Restaurants gemacht hat. Es erinnert mich ein bisschen an die Mafia: Er beschützt sie, und dafür halten sie den Mund.«
Bodenstein blickte seine jüngste Mitarbeiterin an und runzelte nachdenklich die Stirn. Dann nickte er.
»Gut gemacht«, sagte er anerkennend. »Sehr gut.«
Tobias sprang wie elektrisiert von der Couch auf, als sich die Wohnungstür öffnete. Nadja kam herein, in der einen Hand hielt sie eine Plastiktüte, mit der anderen versuchte sie, ihren Mantel auszuziehen.
»Und?« Tobias half ihr aus dem Mantel und hängte ihn an die Garderobe. »Hast du etwas gefunden?« Nach Stunden des Wartens und der Anspannung konnte er seine Neugier kaum mehr bezähmen.
Nadja ging in die Küche, stellte die Tüte auf den Tisch und setzte sich auf einen Stuhl.
»Nichts.« Sie schüttelte müde den Kopf, löste ihren Pferdeschwanz und fuhr sich mit der Hand durch das offene Haar. »Ich habe das ganze verdammte Haus abgesucht. Allmählich glaube ich, diese Bilder waren nur eine Erfindung von Amelie.«
Tobias starrte sie an. Die Enttäuschung war bodenlos.
»Das kann doch nicht sein!«, widersprach er heftig. »Wieso sollte sie sich so etwas ausdenken?«
»Keine Ahnung. Vielleicht wollte sie sich wichtigtun«, antwortete Nadja achselzuckend. Sie sah erschöpft aus, unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Die ganze Situation schien ihr ebenso an die Nieren zu gehen wie ihm selbst.
»Lass uns erst mal essen«, sagte sie und langte nach der Tüte. »Ich hab uns was vom Chinesen mitgebracht.«
Obwohl Tobias den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, lockte ihn der appetitliche Duft, der den Pappboxen entströmte, überhaupt nicht. Wie konnte er jetzt an Essen denken? Amelie hatte sich das mit den Bildern nicht ausgedacht – nie und nimmer! Sie war nicht der Typ Mädchen, der sich wichtigmachen wollte, da lag Nadja völlig falsch. Schweigend sah er zu, wie sie eine Pappschachtel öffnete, die Holzstäbchen auseinanderbrach und zu essen begann.
»Die Polizei sucht nach mir«, sagte er.
»Das weiß ich«, erwiderte sie mit vollem Mund. »Ich tue ja auch alles, um dir zu helfen.«
Tobias biss sich auf die Lippen. Verdammt, er konnte Nadja wirklich keine Vorwürfe machen. Aber es machte ihn schier verrückt, so zur Tatenlosigkeit verdammt zu sein. Am liebsten wäre er losgegangen, um Amelie auf eigene Faust zu suchen. Nur würde man ihn auf der Stelle verhaften, sobald er einen Fuß vor die Tür setzte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu üben und Nadja zu vertrauen.
Bodenstein hielt auf der gegenüberliegenden Straßenseite an, stellte den Motor ab und blieb hinter dem Steuer sitzen. Von hier aus konnte er Cosima durch das hell erleuchtete
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