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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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in der Luxus Fehlanzeige gewesen war. Seine Eltern hatten gespart, wo sie konnten, denn das Geld war immer knapp gewesen. Drüben im Schloss, in dem er aufgewachsen war, wurden in den Wintermonaten nur zwei Räume geheizt, alle anderen Zimmer waren nur »überschlagen«, wie seine Mutter die knapp 18 Grad Raumtemperatur zu nennen pflegte. Bodenstein schnupperte an seinem T-Shirt und rümpfte die Nase. Um eine Dusche kam er nicht herum. Sehnsüchtig dachte er an die Fußbodenheizung in seinem Haus, an weiche, nach Lenor duftende Handtücher. Er duschte im Rekordtempo, trocknete sich mit einem rauen, zerfransten Handtuch ab und rasierte sich mit zitternden Fingern im fahlen Neonlicht des Allibert-Spiegelschranks. Unten in der Küche traf er seinen Vater, der an dem zerkratzten Holztisch Kaffee trank und die FAZ las.
    »Guten Morgen.« Er blickte auf und nickte seinem Sohn freundlich zu. »Auch einen Kaffee?«
    »Guten Morgen. Ja, gerne.« Bodenstein setzte sich. Sein Vater stand auf, holte eine Tasse aus einem der Schränke und schenkte ihm ein. Niemals hätte sein Vater ihn gefragt, weshalb er mitten in der Nacht aufgetaucht war und in einem der Gästezimmer übernachtet hatte. Auch was Worte anging, waren seine Eltern schon immer genügsam gewesen. Und er selbst verspürte keine Lust, morgens um Viertel vor sieben über seine Eheprobleme zu sprechen. Daher tranken Vater und Sohn ihren Kaffee in schweigendem Einvernehmen. Seit jeher wurde im Hause Bodenstein selbst im Alltag von Meißener Geschirr gegessen und getrunken – aus Sparsamkeit. Das Porzellan war Familienerbe, es gab keinen Grund, es nicht zu benutzen oder gar neues anzuschaffen. Es wäre wohl von unschätzbarem Wert gewesen, wäre nicht beinahe jedes Stück mittlerweile mehrfach geklebt worden. Auch Bodensteins Kaffeetasse hatte einen Sprung und einen angeklebten Henkel. Schließlich stand er auf, stellte seine Tasse in die Spüle und bedankte sich. Sein Vater nickte und wandte sich wieder seiner Lektüre zu, die er höflich zur Seite gelegt hatte.
    »Nimm dir doch einen Haustürschlüssel mit«, sagte er beiläufig. »Am Schlüsselbrett neben der Tür hängt einer mit einem roten Anhänger.«
    »Danke.« Bodenstein nahm den Schlüssel. »Bis später.«
    Es war für seinen Vater offenbar ausgemachte Sache, dass er am Abend wiederkommen würde.
    Scheinwerfer und blinkende Blaulichter erhellten den düsteren Novembermorgen, als Bodenstein auf den Waldparkplatz direkt hinter der Nepomuk-Kurve einbog. Er stellte sein Auto neben einem der Streifenwagen ab und machte sich zu Fuß auf den Weg. Der herbstliche Geruch nach feuchter Erde und verfaulendem Laub drang ihm in die Nase, ihm kamen Bruchstücke eines der wenigen Gedichte, die er auswendig kannte, in den Sinn.
Wer
jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Das Gefühl der Verlassenheit sprang ihn an wie ein wütender Hund, und er musste sich mit aller Macht dazu zwingen, weiterzugehen, seinen Job zu tun, obwohl er sich am liebsten irgendwo verkrochen hätte.
    »Morgen«, sagte er zu Christian Kröger, dem Leiter der Spurensicherung, der gerade seine Kamera auspackte. »Was ist denn da oben los?«
    »Es hat sich wohl über den Polizeifunk herumgesprochen«, antwortete Kröger und grinste kopfschüttelnd. »Wie die kleinen Jungs!«
    »Was hat sich herumgesprochen?« Bodenstein verstand noch immer nicht und wunderte sich über den Menschenauflauf. Trotz der frühen Stunde standen fünf Einsatzfahrzeuge auf dem geschotterten Parkplatz, ein sechstes bog gerade von der Straße aus ein. Schon von weitem hörte Bodenstein Stimmengewirr. Sämtliche Beamte, uniformiert oder in den weißen Overalls der Spurensicherung, waren in heller Aufregung.
    »Ein Ferrari!«, teilte ihm einer der Streifenbeamten mit leuchtenden Augen mit. »Ein 599 GTB Fiorano! So einen habe ich nur einmal auf der IAA gesehen!«
    Bodenstein drängte sich durch die Reihen der Kollegen. Tatsächlich! Ganz am Ende des Waldparkplatzes leuchtete ein knallroter Ferrari im Licht eines Scheinwerfers, ehrfurchtsvoll umringt von etwa fünfzehn Polizeibeamten, die sich mehr für Hubraum, PS-Zahl, Reifen, Felgen, Drehmomente und Beschleunigung des edlen Sportwagens als für den Toten auf dem Fahrersitz interessierten. Ein Schlauch reichte von einem der armdicken, chromglänzenden Auspuffrohre bis zum Fenster, das von innen sorgfältig mit silbernem Isolierband abgedichtet worden

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