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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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und Rückgrat, der sich vorsichtig durch sein angepasstes Buchhalterleben lavierte, ständig darum bemüht, bloß nicht aufzufallen. Eine vorbestrafte, verhaltensauffällige siebzehnjährige Tochter, deren Gesicht ein halbes Pfund Metall schmückte, die ausschließlich schwarze Klamotten trug und, was Frisur und Make-up betraf, das Vorbild von Bill Kaulitz von Tokio Hotel hätte sein können, musste für ihn der blanke Horror sein. Gegen Amelies Freundschaft mit Thies hatte Arne Fröhlich sicherlich eine ganze Menge einzuwenden, ein Verbot hatte er allerdings nie ausgesprochen. Nicht dass es etwas genützt hätte. Über Verbote hatte Amelie sich ihr Leben lang hinweggesetzt. Den wahren Grund seiner schweigenden Duldung vermutete Amelie in der Tatsache, dass Thies der Sohn vom Chef ihres Vaters war. Sie ließ die Zigarettenkippe in einen Gully fallen und fuhr fort, laut über Manfred Wagner, Tobias Sartorius und die toten Mädchen nachzudenken.
    Anstatt die beleuchtete Hauptstraße entlangzugehen, hatten sie den schmalen, düsteren Hohlweg eingeschlagen, der von der Kirche aus am Friedhof und den Gärten der Häuser vorbei quer durch den Ort bis hoch zum Waldrand führte. Nach zehn Minuten Fußmarsch erreichten sie die Waldstraße, in der ein Stück oberhalb des Dorfes auf großen Grundstücken nur drei Häuser standen: in der Mitte das Haus, in dem Amelie mit ihrem Vater, ihrer Stiefmutter und ihren beiden jüngeren Halbgeschwistern wohnte; rechts davon stand der Bungalow von Lauterbachs und ein Stück weiter links, umgeben von einem parkähnlichen Grundstück, die große alte Villa von Terlindens direkt am Waldrand. Nur wenige Meter vom schmiedeeisernen Tor des Terlinden-Anwesens entfernt befand sich die rückwärtige Toreinfahrt des Sartorius-Hofes, der sich den ganzen Hang hinunter bis zur Hauptstraße erstreckte. Früher war es ein richtiger Bauernhof gewesen, mit Kühen und Schweinen. Heute war der ganze Hof ein einziger Schweinestall, wie Amelies Vater abfällig zu sagen pflegte. Ein Schandfleck. Amelie blieb am Fuß der Treppe stehen. Üblicherweise trennten Thies und sie sich hier, er ging einfach weiter, ohne ein Wort zu sagen. Heute aber brach er sein Schweigen, als Amelie sich anschickte, die Treppe hochzugehen.
    »Hier haben mal Schneebergers gewohnt«, sagte er mit seiner monotonen Stimme. Amelie drehte sich erstaunt um. Das erste Mal an diesem Abend sah sie den Freund direkt an, aber er erwiderte ihren Blick wie üblich nicht.
    »Echt?«, vergewisserte sie sich ungläubig. »Das eine Mädchen, das Tobias Sartorius umgebracht hat, hat in
unserem
Haus gewohnt?«
    Thies nickte, ohne sie anzusehen.
    »Ja. Hier hat Schneewittchen gewohnt.«

Freitag, 7. November 2008
    Tobias schlug die Augen auf und war für einen Augenblick verwirrt. Statt der weiß getünchten Decke seiner Zelle strahlte ihm Pamela Anderson von einem Poster entgegen. Erst da begriff er, dass er sich nicht mehr im Knast, sondern in seinem alten Zimmer im Haus seiner Eltern befand. Ohne sich zu regen lag er da und lauschte auf die Geräusche, die durch das schräggestellte Fenster drangen. Sechs Schläge der Kirchturmglocke verkündeten die frühe Uhrzeit, irgendwo bellte ein Hund, ein anderer fiel ein, dann verstummten beide wieder. Das Zimmer war unverändert: der Schreibtisch und das Bücherregal aus billigem Furnierholz, der Schrank mit der schiefen Tür. Die Poster von Eintracht Frankfurt, Pamela Anderson und Damon Hill im Williams Renault, der 1996 die Formel-1-Weltmeisterschaft gewonnen hatte. Die kleine Stereoanlage, die er im März 1997 von seinen Eltern bekommen hatte. Das rote Sofa, auf dem er … Tobias richtete sich auf und schüttelte unwillig den Kopf. Im Gefängnis hatte er seine Gedanken besser unter Kontrolle gehabt. Jetzt holten ihn die quälenden Überlegungen ein: Was wäre damals geschehen, wenn Stefanie nicht an jenem Abend mit ihm Schluss gemacht hätte? Würde sie heute noch leben? Er wusste, was er getan hatte. Das hatten sie ihm schließlich hunderte Male erklärt – erst die Polizei, dann sein Anwalt, der Staatsanwalt und die Richterin. Es war schlüssig gewesen, es gab Indizien, es gab Zeugen, es gab das Blut in seinem Zimmer, an seiner Kleidung, in seinem Auto. Und doch fehlten in seiner Erinnerung volle zwei Stunden. Bis heute war da nichts als ein schwarzes Loch.
    Er konnte sich genau an den
6.
September 1997 erinnern. Der geplante Kerbeumzug war ausgefallen, aus Pietät, denn in London wurde an jenem

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