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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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dekadenten Geldsacks war, den sie und ihre Kumpels zu Hause von Herzen verachtet hatten. Dazu kam noch etwas anderes. Manchmal fragte Amelie sich, ob sie noch ganz normal war, denn bei jedem männlichen Wesen, das einigermaßen freundlich zu ihr war, dachte sie in letzter Zeit sofort an Sex. Wie Herr Terlinden wohl reagieren würde, wenn sie ihm die Hand aufs Bein legte und ihm ein eindeutiges Angebot machte? Schon beim Gedanken daran stieg ein hysterisches Kichern in ihr auf, das sie nur mit Mühe unterdrücken konnte.
    »Na, komm schon!«, rief er und winkte mit der Hand. »Steig ein!«
    Amelie stopfte die Ohrstöpsel in ihre Jackentasche und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Die schwere Tür der Luxuskarosse schloss sich mit einem satten Schmatzen. Terlinden fuhr die Waldstraße hinunter und lächelte Amelie an.
    »Was ist mit dir?«, fragte er. »Du siehst so grüblerisch aus.«
    Amelie zögerte einen Moment. »Darf ich Sie was fragen?«
    »Natürlich. Nur zu.«
    »Die beiden Mädchen, die damals verschwunden sind. Haben Sie die gekannt?«
    Claudius Terlinden warf ihr einen raschen Blick zu. Er lächelte nicht mehr. »Wieso möchtest du das wissen?«
    »Ich bin halt neugierig. Es wird so viel geredet, seit dieser Mann wieder da ist. Irgendwie finde ich es spannend.«
    »Hm. Das war eine traurige Sache damals. Und ist es bis heute«, erwiderte Terlinden. »Natürlich habe ich die beiden Mädchen gekannt. Stefanie war ja die Tochter unserer Nachbarn. Und Laura kannte ich auch, seit ihrer Kindheit. Ihre Mutter hat bei uns als Haushälterin gearbeitet. Es ist einfach schrecklich für die Eltern, dass die Mädchen nie gefunden wurden.«
    »Hm«, machte Amelie nachdenklich. »Hatten sie Spitznamen?«
    »Wen meinst du?« Claudius Terlinden schien verwundert über diese Frage.
    »Stefanie und Laura.«
    »Das weiß ich nicht. Warum … ach, doch. Stefanie hatte einen Spitznamen. Die anderen Kinder nannten sie Schneewittchen.«
    »Und wieso?«
    »Vielleicht wegen ihres Nachnamens. Schneeberger.« Terlinden runzelte die Stirn und verlangsamte die Fahrt. Der Schulbus stand schon mit eingeschaltetem Warnblinker an der Haltestelle und wartete auf die wenigen Schüler, die er nach Königstein transportieren sollte.
    »Ach nein«, erinnerte sich Claudius Terlinden dann. »Ich glaube, das hing mit diesem Theaterstück zusammen, das in der Schule aufgeführt werden sollte. Stefanie hatte die Hauptrolle bekommen. Sie sollte das Schneewittchen spielen.«
    »Sollte?«, fragte Amelie neugierig nach. »Hat sie es nicht getan?«
    »Nein. Sie wurde ja vorher … hm … sie verschwand vorher.«
    Die Brotscheiben schnellten mit einem Klacken aus dem Toaster. Pia schmierte gesalzene Butter auf beide Seiten, dazu eine ordentliche Schicht Nutella und klappte die beiden Hälften zusammen. Sie war geradezu süchtig nach dieser eigenwilligen Kombination aus salzig und süß, genoss jeden Bissen und leckte die geschmolzene Butter-Nutella-Mischung von ihren Fingern, bevor sie auf die Zeitung tropfen konnte, die sie aufgeschlagen vor sich liegen hatte. Der gestrige Skelettfund vom alten Flugplatz wurde in einer fünfzeiligen Notiz erwähnt, dem 11. Prozesstag gegen Vera Kaltensee widmete die Frankfurter Neue Presse im Lokalteil vier Spalten. Heute um neun musste Pia vor dem Landgericht ihre Aussage über die Ereignisse in Polen vom letzten Sommer machen. Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken zu Henning. Aus der einen Tasse Kaffee waren gestern drei geworden. Er hatte so offen mit ihr gesprochen wie in den ganzen sechzehn Jahren ihrer Ehe nicht, aber Pia hatte auch keine Lösung für sein Dilemma gewusst. Seit dem Abenteuer in Polen war er mit Pias bester Freundin Miriam Horowitz liiert, dennoch hatte er sich unter Umständen, auf die er zu ihrem Bedauern nicht näher eingegangen war, dazu hinreißen lassen, mit seiner glühenden Verehrerin, der Staatsanwältin Valerie Löblich, ins Bett zu steigen. Ein Ausrutscher, wie er versichert hatte, aber mit fatalen Folgen, denn die Löblich war jetzt schwanger. Henning war mit der Situation völlig überfordert und spielte mit dem Gedanken an Flucht in die USA. Schon seit Jahren lockte ihn die University of Tennessee mit einem sehr lukrativen und wissenschaftlich hochinteressanten Posten. Während Pia noch über Hennings Probleme nachsann und gleichzeitig überlegte, ob sie der ersten Kalorienbombe eine zweite folgen lassen sollte, kam Christoph aus dem Badezimmer und setzte sich ihr gegenüber

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