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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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mich so mit dem neuen Kerl von meiner Mutter gezofft, dass sie mich zu meinem Vater und meiner Stiefmutter abgeschoben haben.«
    »Und die lassen dich nachts einfach so herumlaufen?« Tobias Sartorius lehnte sich an die Mauer und betrachtete sie eingehend. »Wenn ein Mörder zurück im Dorf ist?«
    Amelie grinste. »Ich glaube, davon haben sie noch gar nichts gehört. Ich schon. Ich arbeite nämlich abends da drüben.« Sie nickte in Richtung der Gaststätte, die auf der anderen Seite des Parkplatzes neben der Kirche lag. »Da bist du seit zwei Tagen Hauptgesprächsthema.«
    »Wo?«
    »Im Schwarzen Ross.«
    »Ach ja. Das gab's damals noch nicht.«
    Amelie erinnerte sich, dass zu der Zeit, als die Morde in Altenhain geschehen waren, der Vater von Tobias Sartorius die einzige Gaststätte in Altenhain betrieben hatte, den Goldenen Hahn.
    »Was machst du denn um die Uhrzeit hier?« Amelie kramte das Zigarettenpäckchen aus ihrem Rucksack und hielt es ihm hin. Er zögerte einen Moment, dann nahm er eine Zigarette und gab ihr Feuer mit ihrem Feuerzeug.
    »Ich laufe einfach rum.« Er stemmte ein Bein gegen die Mauer. »Ich war zehn Jahre im Knast, da ging das nicht.«
    Sie rauchten eine Weile schweigend. Auf der anderen Seite des Parkplatzes verließen ein paar späte Gäste das Schwarze Ross. Stimmen drangen zu ihnen herüber, dann knallten Autotüren. Motorengeräusche entfernten sich.
    »Hast du keine Angst, abends, in der Dunkelheit?«
    »Nee.« Amelie schüttelte den Kopf. »Ich komme aus Berlin. Manchmal habe ich mit ein paar Kumpels in leerstehenden Abrisshäusern gepennt, da gab's schon mal Ärger mit den Pennern, die da auch hausten. Oder mit den Bullen.«
    Tobias Sartorius ließ den Zigarettenrauch durch die Nase entweichen.
    »Wo wohnst du?«
    »In dem Haus neben Terlindens.«
    »Ach?«
    »Ja, ich weiß. Thies hat es mir erzählt. Da hat damals Schneewittchen gewohnt.« Tobias Sartorius erstarrte.
    »Jetzt lügst du aber«, sagte er nach einer Weile mit veränderter Stimme.
    »Tue ich nicht«, widersprach Amelie. »Doch. Thies redet nicht. Nie.«
    »Mit mir schon. Hin und wieder. Er ist nämlich mein Freund.«
    Tobias zog an der Zigarette. Der Lichtschein der Glut erhellte sein Gesicht, und Amelie sah, wie er die Augenbrauen hob.
    »Nicht so ein Freund, wie du jetzt denkst«, sagte sie rasch. »Thies ist mein bester Freund. Und mein einziger …«

Sonntag, 9. November 2008
    Die Feier zum 70. Geburtstag von Gräfin Leonora von Bodenstein fand nicht im vornehmen Schlosshotel statt, sondern in der Reithalle, auch wenn Bodensteins Schwägerin Marie-Louise heftig dagegen protestiert hatte. Aber die Gräfin mochte kein Brimborium um ihre Person, wie sie es ausdrückte. Bescheiden und naturverbunden, wie sie war, hatte sie sich ausdrücklich eine kleine, zünftige Feier in den Stallungen oder der Reithalle gewünscht, und so hatte Marie-Louise von Bodenstein sich gefügt. Sie hatte die Organisation des »Events« in die Hand genommen, energisch und professionell, wie es ihre Art war, und das Ergebnis war atemberaubend.
    Bodenstein und Cosima trafen mit Sophia um kurz nach elf auf Hofgut Bodenstein ein und fanden nur mit Mühe und Not einen Parkplatz. Im historischen Innenhof des Reitstalles mit dem Kopfsteinpflaster und seinen sorgfältig renovierten Fachwerkgebäuden war kein Strohhalm zu sehen, die große Stalltür stand weit offen.
    »Mein Gott«, bemerkte Cosima amüsiert. »Marie-Louise muss Quentin gezwungen haben, Nachtschichten einzulegen!«
    Die alten, hohen Stallungen, um 1850 erbaut, bildeten einen Schenkel der viereckig angelegten Marstallanlage des gräflichen Schlosses. Im Laufe der Jahre hatten sie eine ehrwürdige Patina aus Spinnweben, Staub und Schwalbenkot bekommen – aber die war restlos verschwunden. Alle Pferdeboxen, die Wände und die hohen Decken erstrahlten in frischem Glanz, die Sprossenfenster waren blank geputzt, selbst die Wandbilder, die Jagdszenen darstellten, waren farblich aufgefrischt worden. Den Pferden, die neugierig über die Türen ihrer Boxen auf den Trubel in der breiten Stallgasse schauten, hatte man zur Feier des Tages die Mähnen eingeflochten. In der Vorhalle, liebevoll dekoriert wie zum Erntedankfest, schenkten die Kellner des Schlosshotels Sekt aus.
    Bodenstein grinste. Sein jüngerer Bruder Quentin gehörte zu der bequemen Sorte Mensch; er war Landwirt und verwaltete Gut und Reitstall, und ihn störte es nicht im Geringsten, wenn der Zahn der Zeit seine Spuren

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