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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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hatte, musste die Tat mit äußerster Brutalität ausgeführt worden sein. Die Mordmerkmale Grausamkeit und Verdeckung einer Straftat waren somit gegeben. Bei einer Hausdurchsuchung hatte man Stefanies Rucksack in Tobias' Zimmer gefunden, Lauras Halskette in der Milchküche unter einem Waschbecken und schließlich die Mordwaffe, den Wagenheber, in der Jauchegrube hinter dem Kuhstall. Die Argumentation der Verteidigung, Stefanie habe nach dem Streit ihren Rucksack im Zimmer des Freundes vergessen, wurde als unerheblich abgetan. Zeugen hatten Tobias später, kurz nach 23:00 Uhr, in seinem Auto aus Altenhain hinausfahren sehen. Aber gegen 23:45 wollten seine Freunde Jörg Richter und Felix Pietsch an der Haustür mit ihm gesprochen haben! Er sei voller Blut gewesen und habe es abgelehnt, mit zur Wache am Kerbebaum zu kommen.
    Über diese Zeitangaben war Pia gestolpert. Das Gericht war davon ausgegangen, dass Tobias die Leichen der beiden Mädchen im Kofferraum seines Autos wegtransportiert hatte. Aber was hatte er in einer knappen Dreiviertelstunde ausrichten können? Pia nahm einen Schluck Kaffee und stützte nachdenklich das Kinn in die Hand. Die Kollegen waren damals gründlich gewesen und hatten im Laufe ihrer Ermittlungsarbeit beinahe jeden Einwohner Altenhains befragt. Dennoch hatte sie das unbestimmte Gefühl, dass seinerzeit etwas übersehen worden war.
    Die Tür ging auf, Kollege Hasse erschien im Türrahmen. Er war käsig weiß, nur seine Nase leuchtete rot und entzündet vom vielen Naseputzen.
    »Na«, sagte Pia. »Geht's dir besser?«
    Zur Antwort nieste Hasse zweimal hintereinander, dann holte er schniefend Luft und zuckte die Schultern.
    »Mensch, Andreas, fahr nach Hause.« Pia schüttelte den Kopf. »Leg dich ins Bett und kurier dich aus. Hier ist doch im Moment tote Hose.«
    »Wie weit bist du mit dem Zeug?« Er nickte argwöhnisch in Richtung der Akten, die sich auf dem Boden neben Pias Schreibtisch stapelten. »Hast du was gefunden?«
    Sie wunderte sich kurz über sein Interesse, aber wahrscheinlich trieb ihn nur die Befürchtung um, sie könne ihn um Hilfe bitten.
    »Wie man's nimmt«, erwiderte sie. »Auf den ersten Blick scheint alles sehr sorgfältig überprüft worden zu sein. Aber trotzdem stimmt irgendetwas nicht. Wer hat damals die Ermittlungen geleitet?«
    »KHK Brecht vom K 11 in Frankfurt«, sagte Hasse. »Aber falls du mit ihm reden willst, kommst du ein Jahr zu spät. Er ist letzten Winter gestorben. Ich war auf seiner Beerdigung.«
    »Ach.«
    »Ein Jahr nach seiner Pensionierung. So hat's Vater Staat am liebsten. Da schuftet man, bis man fünfundsechzig ist, und dann wandert man gleich in die Kiste.«
    Pia überhörte die übliche Bitterkeit in seiner Stimme. Kollege Hasse hatte sich in seinem Leben sicher noch nicht dem Risiko ausgesetzt, sich zu Tode zu schuften.
    Nachdem er Dr. Kirchhoff an der S-Bahn-Haltestelle am Stadion abgesetzt hatte, fuhr Bodenstein auf den Zubringer Richtung Frankfurter Kreuz. Die Eltern von Laura Wagner würden heute endlich Gewissheit über das Schicksal ihrer Tochter erhalten. Möglicherweise brachte es ihnen Erleichterung, wenn sie die sterblichen Überreste des Mädchens nach elf Jahren beerdigen und damit endgültig Abschied nehmen konnten. Er war so in Gedanken versunken, dass er ein paar Sekunden brauchte, bevor er das Kennzeichen des dunklen X5 direkt vor ihm erkannte. Was machte Cosima hier in Frankfurt? Hatte sie sich nicht noch heute Morgen bei ihm beklagt, sie müsse wohl den Rest der Woche im Sender in Mainz verbringen, weil sie mit dem Schnitt des Filmmaterials nicht vorwärtskamen? Bodenstein tippte ihre Handynummer ein. Trotz schlechter Sicht durch Nieselregen und Spritzwasser konnte er sehen, wie die Fahrerin vor ihm ein Handy ans Ohr hob. Er lächelte, als ihre vertraute Stimme aus dem Lautsprecher ertönte.
Schau mal in den Rückspiegel
hatte er eigentlich sagen wollen, aber eine plötzliche Eingebung hielt ihn davon ab. Die Worte seiner Schwester zuckten durch sein Gehirn. Er würde Cosima auf die Probe stellen und sich davon überzeugen lassen, dass sein Misstrauen ungerechtfertigt war.
    »Was machst du gerade?«, fragte er also stattdessen. Ihre Antwort verschlug ihm die Sprache.
    »Ich bin noch in Mainz. Heute hat gar nichts geklappt«, erwiderte sie in einem Tonfall, der ihn normalerweise nicht an ihrer Aussage hätte zweifeln lassen. Die Lüge versetzte ihm einen so heftigen Schock, dass er innerlich zu zittern begann. Seine

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