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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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lebhafter war die Erinnerung an die unerfreulichen Dinge, von denen es einige gegeben hatte. Laura hatte ihren Vater geringgeschätzt und sich für ihn geschämt. Sie wünsche sich einen Vater wie Claudius Terlinden, der Manieren und Macht besaß, das hatte sie Manfred ins Gesicht gesagt, zu jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit. Manfred hatte diese Kränkungen eingesteckt, ohne mit der Wimper zu zucken, der Liebe zu seiner hübschen Tochter hatten sie keinen Abbruch getan. Andrea hingegen hatte schockiert begriffen, wie wenig sie ihre Tochter kannte und dass sie offensichtlich in der Erziehung etwas versäumt hatte. Gleichzeitig hatte sie Angst bekommen. Was, wenn Laura herausfand, dass sie mit Claudius, ihrem Chef, ein Verhältnis hatte?
    Nächtelang hatte sie wach gelegen und über ihre Tochter nachgegrübelt. In den darauffolgenden Jahren hatte sie noch viel mehr Gründe zur Besorgnis gehabt, denn Laura trieb es toll mit den Jungs im Dorf – bis sie endlich mit Tobias zusammenkam. Ganz plötzlich war sie wie ausgewechselt gewesen, zufrieden und fröhlich. Tobias tat ihr gut. Zweifellos war er etwas Besonderes, er sah gut aus, er war ein hervorragender Schüler und Sportler, die anderen Jungen hörten auf ihn. Er war genau das, was Laura sich immer gewünscht hatte, und sein Glanz färbte auf sie, seine Freundin, ab. Ein halbes Jahr ging alles gut – bis Stefanie Schneeberger nach Altenhain kam. Laura hatte sie sofort als Konkurrentin erkannt und sich mit ihr angefreundet, aber vergeblich. Tobias verliebte sich in Stefanie und machte mit Laura Schluss. Diese Niederlage hatte sie kaum verkraftet. Was genau sich in jenem Sommer zwischen den jungen Leuten abgespielt hatte, wusste Andrea Wagner nicht, wohl aber, dass Laura mit dem Feuer gespielt hatte, als sie die Freunde gegen Stefanie aufgestachelt hatte. Sie hatte Laura am Kopierer im Büro angetroffen, wo sie einen ganzen Stapel Kopien angefertigt hatte. Laura war ausgerastet, als sie einen Blick darauf hatte werfen wollen. Es war zu einem heftigen Streit gekommen, und Laura hatte in der Aufregung die Kopiervorlage auf dem Kopierer vergessen. Nur ein einziger Satz in Fettschrift stand auf dem weißen Blatt: SCHNEEWITTCHEN MUSS STERBEN. Andrea Wagner hatte das Blatt zusammengefaltet und aufgehoben, aber weder ihrem Mann noch der Polizei gezeigt. Der Gedanke, dass
ihr
Kind einem anderen Menschen den Tod wünschte, war für sie unerträglich gewesen. War Laura vielleicht Opfer ihrer eigenen Intrige geworden? Sie hatte den Mund gehalten, den Dingen ihren Lauf gelassen und Abend für Abend zugehört, wenn Manfred seine Tochter glorifizierte.
    »Laura«, murmelte sie und streichelte das Foto mit dem Zeigefinger. »Was hast du getan?«
    Plötzlich rollte eine Träne über ihre Wange, dann noch eine. Sie blinzelte, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Es war keine Trauer, die ihr die Tränen in die Augen trieb, sondern das schlechte Gewissen darüber, dass sie ihre Tochter nicht geliebt hatte.
    Es war halb zwei, als er vor ihrem Haus stand. Drei Stunden lang war er ziellos in der Gegend herumgefahren. So viel war heute auf ihn eingestürmt, dass er es daheim einfach nicht mehr ausgehalten hatte. Erst Amelie, die blutüberströmt vor ihm gestanden hatte. Der Schock bei ihrem Anblick. Es war nicht das Blut in ihrem Gesicht, das seinen Adrenalinspiegel in die Höhe des Mount Everest hatte schnellen lassen, sondern ihre unglaubliche Ähnlichkeit mit Stefanie. Dabei war sie ganz anders. Nicht die eitle kleine Schönheitskönigin, die ihn betört, verführt und eingewickelt hatte, nur um ihn dann eiskalt abzuservieren. Amelie war ein beeindruckendes Mädchen. Und sie schien überhaupt keine Berührungsängste zu haben.
    Dann waren die Bullen aufgetaucht. Man hatte Lauras Leiche gefunden. Weil es so stark geregnet hatte, hatte er die Aufräumarbeiten im Hof sein lassen und seine Wut ins Ausmisten seines Zimmers gesteckt. Er hatte die albernen Poster von den Wänden gerissen, den Inhalt der Schränke und sämtlicher Schubladen kurz entschlossen in blaue Müllsäcke gestopft. Nur weg mit dem ganzen Kram! Plötzlich hatte er eine CD in der Hand gehalten.
Time to say goodbye
von Sarah Brightman und Andrea Bocelli. Stefanie hatte ihm diese CD geschenkt, weil sie sich bei diesem Lied zum ersten Mal geküsst hatten, im Juni, auf der Abiparty. Er hatte die CD aufgelegt, nicht gefasst auf das Gefühl der Leere, das ihn mit dem ersten Akkord jäh ergriffen und bis jetzt

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