Schneewittchen muss sterben
Sachbearbeiter als Amtsmissbrauch auslegen könnte. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und wappnete sich innerlich. Was er lesen musste, raubte ihm jede Illusion. Sie war an genau zwei Tagen tatsächlich in Mainz gewesen, und das nur für jeweils eine Stunde. Dafür aber hatte sie ihre Vormittage an acht Tagen in Frankfurt verbracht. Bodenstein stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch, legte das Kinn auf seine Fäuste und überlegte einen Moment. Dann griff er zum Telefon und wählte die Nummer von Cosimas Büro. Kira Gasthuber, Cosimas Produktionsassistentin und Mädchen für alles, meldete sich nach dem zweiten Läuten. Cosima sei für kurze Zeit außer Haus. Weshalb er es nicht einfach auf ihrem Handy probiere.
›Damit sie mich nicht anlügt, du dumme Nuss‹, dachte Bodenstein. Er wollte gerade das Gespräch beenden, da hörte er das helle Stimmchen seiner jüngsten Tochter im Hintergrund. Sofort schrillten alle Alarmglocken in seinem Kopf. Cosima nahm Sophia normalerweise immer und überallhin mit. Warum hatte sie das Kind heute im Büro gelassen? Auf seine Frage antwortete die schlagfertige Kira, Cosima sei ja nicht lange weg, und Sophia amüsiere sich bestens bei ihr und Rene. Als er aufgelegt hatte, saß Bodenstein noch eine ganze Weile an seinem Schreibtisch. Seine Gedanken kreisten. Fünfmal war Cosimas Telefon in der Funkzelle geortet worden, die sich im Frankfurter Nordend zwischen der Glauburg-Straße, dem Oeder Weg, der Eckenheimer Landstraße und der Eschersheimer Anlage befand. Auf dem Stadtplan mochte das klein aussehen, aber das Gebiet umfasste Hunderte von Häusern mit Tausenden von Wohnungen. Verdammt. Wo trieb sie sich herum? Und vor allen Dingen mit wem? Wie würde er reagieren, wenn sich herausstellte, dass sie ihn tatsächlich betrog? Und wieso glaubte er überhaupt, dass sie es nötig hatte, ihn zu betrügen? Gut, ihr Sexleben war nicht mehr so rege wie noch vor Sophias Geburt, das brachte die Anwesenheit eines kleinen Kindes eben mit sich. Aber es war ja nicht so, dass Cosima etwas vermisste. Oder? Zu seiner Schande konnte er sich gar nicht mehr genau erinnern, wann er das letzte Mal mit seiner Frau geschlafen hatte. Er dachte nach und rechnete zurück. Doch! An dem Abend, als sie leicht beschwipst und bester Laune von der Geburtstagsfeier eines Freundes zurückgekommen waren. Bodenstein suchte seinen Terminplaner heraus und schaute nach. Ihn beschlich ein eigenartiges Gefühl, das sich verstärkte, je weiter er zurückblätterte. Hatte er gar vergessen, Bernhards Geburtstag einzutragen? Nein, hatte er nicht. Bernhard hatte am 20. September seinen Fünfzigsten gefeiert, auf Schloss Johannisberg im Rheingau. Das konnte doch nicht wahr sein! Er zählte nach und stellte beschämt fest, dass er seit acht Wochen nicht mehr mit Cosima geschlafen hatte. War er am Ende selbst daran schuld, wenn sie fremdging? Es klopfte an der Tür, Nicola Engel trat ein. »Was gibt's?«, fragte er.
»Wann«, sagte sie mit frostiger Miene, »wolltest du mir mitteilen, dass Kriminaloberkommissar Behnke einem nicht genehmigten Nebenjob in einer Kneipe in Sachsenhausen nachgeht?«
Verdammt! Das hatte er doch glatt vergessen über seine privaten Probleme. Er fragte nicht, woher sie schon wieder Bescheid wusste, und verzichtete auch auf jede Art der Rechtfertigung.
»Ich wollte erst selbst mit ihm sprechen«, antwortete er nur. »Dazu hatte ich bisher noch keine Gelegenheit.«
»Heute Abend um 18:30 hast du sie. Ich habe Behnke hierherbestellt, ob krank oder nicht. Sieh zu, wie du die Kuh vom Eis kriegst.«
Sein Handy klingelte schon, als er an der Zollkontrolle vorbei zum Ausgang ging. Lars Terlinden wechselte den Aktenkoffer in die andere Hand und nahm das Gespräch entgegen. Den ganzen Tag hatte er sich in Zürich vom Vorstand fertigmachen lassen müssen, dabei hatten sie ihn noch vor ein paar Monaten für genau diesen Deal, für den sie ihn heute ans Kreuz schlagen wollten, gefeiert wie den Heiland. Verdammt, er war auch kein Hellseher! Wie hatte er wissen sollen, dass Dr. Markus Schönhausen in Wirklichkeit Matthias Mutzier hieß, nicht aus Potsdam stammte, sondern aus einem Dorf auf der Schwäbischen Alb und ein Hochstapler der allerübelsten Sorte war! Es war schließlich nicht sein Problem, wenn die Rechtsabteilung seiner Bank ihre Hausaufgaben nicht richtig machte. Da waren schon Köpfe gerollt, und seiner würde der nächste sein, wenn ihm nicht einfiel, womit er den Totalausfall in dreistelliger
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