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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Sie ging die drei Stufen zur Haustür des Wohnhauses hoch und klingelte. Hartmut Sartorius öffnete. Neben ihm stand eine blonde Frau. Pia traute ihren Augen kaum, als sie Nadja von Bredow erkannte, die Schauspielerin, deren Gesicht nicht zuletzt durch die populäre Rolle der Kriminalkommissarin Stein aus dem Hamburger Tatort in der ganzen Republik bekannt geworden war. Was tat diese Frau hier?
    »Ich finde ihn schon«, sagte sie gerade zu Hartmut Sartorius, der neben dieser hochgewachsenen, eleganten Erscheinung noch verhärmter wirkte als sonst. »Vielen Dank erst mal. Wir sehen uns später noch.«
    Sie streifte Pia mit einem desinteressierten Blick und ging an ihr vorbei, ohne zu grüßen oder ihr wenigstens zuzunicken. Pia blickte ihr nach, dann wandte sie sich dem Vater von Tobias zu.
    »Nathalie ist die Tochter unserer Nachbarn«, erklärte dieser unaufgefordert, weil er wohl das Erstaunen in Pias Gesicht bemerkt hatte. »Sie und Tobias haben zusammen im Sandkasten gespielt, und sie hat während seiner ganzen Haftzeit den Kontakt zu ihm gehalten. Als Einzige von allen.«
    »Aha.« Pia nickte. Auch eine berühmte Schauspielerin musste irgendwo aufgewachsen sein, warum also nicht in Altenhain?
    »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ist Ihr Sohn da?«
    »Nein. Er ist spazieren gegangen. Aber kommen Sie doch herein.«
    Pia folgte ihm ins Haus und weiter in die Küche, die ebenso wie der Hof bedeutend aufgeräumter aussah als bei ihrem letzten Besuch. Warum eigentlich führten die Leute die Polizei immer in ihre Küche?
    Amelie ging in Gedanken versunken am Waldrand entlang, die Hände in den Jackentaschen. Dem heftigen Regen der vergangenen Nacht war ein stiller, milder Tag gefolgt. Über den Obstbaumwiesen lagen dünne Nebelschleier, die Sonne fand einen Weg durch die graue Wolkendecke und ließ den Wald hier und da in Herbstfarben erglühen. Rot, gelb und braun leuchteten die letzten Blätter an den Ästen der Laubbäume, es duftete nach Eicheln und feuchter Erde, nach einem Feuer, das irgendjemand auf einer der Wiesen angezündet hatte. Amelie, das Großstadtkind, sog die frische, klare Luft tief in ihre Lungen. Sie fühlte sich so lebendig wie selten zuvor und musste sich eingestehen, dass das Leben auf dem Land durchaus angenehme Seiten hatte. Unten im Tal lag das Dorf. Wie friedlich es aus der Ferne wirkte! Ein Auto krabbelte wie ein roter Marienkäfer die Straße entlang und verschwand im Gewirr der dicht beieinanderstehenden Häuser. Auf der Holzbank neben dem alten Wegekreuz saß ein Mann. Als Amelie näher kam, erkannte sie zu ihrem Erstaunen Tobias.
    »Hey«, sagte sie und blieb vor ihm stehen. Er hob den Kopf. Ihr Erstaunen verwandelte sich in Entsetzen, als sie sein Gesicht sah. Dunkelviolette Blutergüsse zogen sich über seine linke Gesichtshälfte, ein Auge war zugeschwollen, seine Nase auf die Größe einer Kartoffel angewachsen. Eine Platzwunde an der Augenbraue war geklammert.
    »Hey«, erwiderte er. Sie sahen sich einen Moment an. Seine schönen, blauen Augen waren glasig, er hatte starke Schmerzen, das war nicht zu übersehen. »Sie haben mich erwischt. Gestern Abend, in der Scheune.«
    »Na super.« Amelie setzte sich neben ihn. Eine Weile sagte keiner der beiden ein Wort.
    »Eigentlich müsstest du zu den Bullen gehen«, sagte sie zögernd und ohne rechte Überzeugung. Er schnaubte abfällig.
    »Im Leben nicht. Hast du vielleicht eine Zigarette?«
    Amelie kramte in ihrem Rucksack und förderte ein zerknautschtes Zigarettenpäckchen samt Feuerzeug zutage. Sie zündete zwei Zigaretten an, reichte ihm eine.
    » Gestern Abend ist der Bruder von der Jenny Jagielski ziemlich spät mit seinem Kumpel, dem dicken Felix, ins Schwarze Ross gekommen. Sie haben mit zwei anderen Kerlen in einer Ecke gehockt und waren ganz komisch drauf«, sagte Amelie, ohne Tobias anzusehen. »Und bei der üblichen Skatrunde am Stammtisch fehlten der alte Pietsch, der Richter vom Laden und der Traugott Dombrowski. Die sind erst gegen Viertel vor zehn aufgetaucht.«
    »Hm«, machte Tobias nur und zog an seiner Zigarette.
    »Vielleicht waren es welche von denen.«
    »Höchstwahrscheinlich sogar«, erwiderte Tobias gleichgültig.
    »Ja, aber … wenn du doch weißt, wer es gewesen sein könnte …« Amelie wandte den Kopf und begegnete seinem Blick. Sie sah schnell wieder weg. Es war bedeutend einfacher, mit ihm zu reden, wenn sie ihm nicht in die Augen sah.
    »Warum bist du auf meiner Seite?«, fragte er plötzlich. »Ich war

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