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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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weitreichende Fehlentscheidung hatte darin bestanden, dass er ihnen damals von der Kerb aus heimlich gefolgt war, getrieben von dem wahnsinnigen Bedürfnis, Laura seine Liebe zu gestehen. Hätte er das doch nur seinlassen! Hätte er doch nur … Er schüttelte heftig den Kopf, faltete entschlossen die Zeitung zusammen und warf sie in den Papierkorb. Es nützte nichts, mit der Vergangenheit zu hadern. Er brauchte seine volle Konzentration für die Probleme, mit denen er im Moment konfrontiert wurde. Zu viel stand auf dem Spiel, als dass er sich von so einem Kram ablenken lassen durfte. Er hatte Familie und jede Menge finanzielle Verpflichtungen, denen er in den Zeiten der Wirtschaftskrise nur äußerst mühsam nachkommen konnte: Die riesige Villa im Taunus war nicht abbezahlt, die Finca auf Mallorca schon gar nicht, die Leasingraten für seinen Ferrari und den Geländewagen seiner Frau waren jeden Monat fällig. Ja, er war wieder in einer Spirale gefangen, so wie damals. Und diese Spirale, das merkte er immer deutlicher, raste in atemberaubender Geschwindigkeit abwärts. Zum Teufel mit Altenhain!
    Seit drei Stunden saß er vor dem Haus im Karpfenweg und starrte in das Wasser des Hafenbeckens. Weder die ungemütliche Kälte noch die skeptischen Blicke der Hausbewohner, die im Vorbeigehen misstrauisch sein demoliertes Gesicht musterten, störten ihn. Zu Hause hatte er es nicht länger ausgehalten, und außer Nadja war ihm niemand eingefallen, mit dem er reden konnte. Und er musste reden, sonst würde er platzen. Amelie war verschwunden, in Altenhain drehte die Polizei in einer gigantischen Suchaktion jeden Stein um, genauso wie damals. Er fühlte sich – ebenfalls wie damals – unschuldig, aber der Zweifel nagte an ihm mit scharfen, kleinen Zähnchen. Dieser verdammte Alkohol! Nie mehr würde er auch nur einen einzigen Tropfen anrühren. Absätze klackten hinter ihm. Tobias hob den Kopf und erkannte Nadja, die mit schnellen Schritten auf ihn zukam, das Handy am Ohr.
    Plötzlich fragte er sich, ob er ihr überhaupt willkommen sein würde. Ihr Anblick verstärkte das bedrückende Gefühl der Unzulänglichkeit, das ihn jedes Mal in ihrer Gegenwart überfiel. Er kam sich vor wie ein Penner, in seiner abgeschabten, billigen Lederjacke und mit der zerschlagenen Visage. Vielleicht sollte er besser von hier verschwinden und nie mehr wiederkommen.
    »Tobi!« Nadja steckte das Telefon weg und eilte mit entsetzter Miene auf ihn zu. »Was tust du denn hier in der Kälte?«
    »Amelie ist weg«, erwiderte er. »Die Polizei war schon bei mir.«
    Mühsam richtete er sich auf. Seine Beine waren wie Eis, sein Rücken schmerzte.
    »Wieso denn das?«
    Er rieb seine Hände, pustete hinein.
    »Na, einmal Mädchenmörder, immer Mädchenmörder. Außerdem habe ich kein Alibi für die Zeit, in der Amelie verschwunden ist.«
    Nadja starrte ihn an. »Jetzt komm erst mal rein.« Sie zückte den Haustürschlüssel, schloss die Tür auf. Er folgte ihr mit steifen Schritten.
    »Wo warst du?«, fragte er, als sie mit dem gläsernen Aufzug zum Penthouse hochglitten. »Ich warte seit ein paar Stunden auf dich.«
    »Ich war in Hamburg, das weißt du doch.« Sie schüttelte den Kopf und legte besorgt ihre Hand auf seine. »Du solltest dir echt mal ein Handy anschaffen.«
    Erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass Nadja am Samstag zu Dreharbeiten nach Hamburg geflogen war. Sie half ihm, die Jacke auszuziehen, und schob ihn in Richtung Küche.
    »Setz dich«, sagte sie. »Ich mach dir erst mal einen Kaffee zum Aufwärmen. Meine Güte!«
    Sie warf ihren Mantel über eine Stuhllehne. Das Handy meldete sich mit einem polyphonen Klingelton, aber sie beachtete es nicht und machte sich stattdessen an der Espressomaschine zu schaffen.
    »Ich mache mir echt Sorgen um Amelie«, sagte Tobias. »Ich habe ja keine Ahnung, was sie wirklich über damals weiß und mit wem sie darüber gesprochen hat. Wenn ihr irgendetwas zugestoßen ist, nur weil sie mir helfen wollte, dann ist das alles meine Schuld.«
    »Du hast sie doch nicht gezwungen, in der Vergangenheit herumzuschnüffeln«, entgegnete Nadja. Sie stellte zwei Kaffeetassen auf den Tisch, nahm Milch aus dem Kühlschrank und setzte sich ihm gegenüber. Ungeschminkt, mit violetten Schatten unter den Augen, sah sie müde aus.
    »Na komm.« Sie legte ihre Hand auf seine. »Jetzt trink deinen Kaffee. Und dann legst du dich in die Badewanne, damit du wieder auftaust.«
    Warum verstand sie nicht, was in ihm vorging? Er wollte

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