Schneewittchen muss sterben
aufregendes Spiel war. Pia, die den Plan des Dorfes dank ihrer Skizze klar vor Augen hatte, sprach mit den Beamten, die sich nach und nach auf dem Parkplatz versammelten. Die Haustürbefragungen hatten nichts Hilfreiches ergeben.
»Der Hund hat am Waldrand Spuren gefunden, überall in der Straße, in der das Mädchen wohnt, am Haus der Nachbarn, an deren Gartenhaus«, berichtete der Einsatzleiter gerade.
»Wie heißen die Nachbarn?«, erkundigte sich Pia.
»Terlinden«, antwortete der Beamte. »Die Frau sagte uns, dass Amelie oft bei ihrem Sohn zu Besuch sei. Es ist also nicht unbedingt eine heiße Spur.« Er wirkte enttäuscht. Nichts war unerquicklicher als eine Suche ohne Ergebnis.
Kai Ostermann war es gelungen, das Passwort von Amelies Computer zu knacken. Er hatte sich den Verlauf der Seiten angesehen, die Amelie in letzter Zeit im Internet besucht hatte. Entgegen seiner Erwartung war sie selten in den gängigen Netzwerken wie SchülerVZ, Facebook, MySpace oder Wer-kennt-wen aktiv gewesen; zwar besaß sie überall Benutzerprofile, aber die pflegte sie kaum, und sie hatte auch nur wenige Kontakte. Dafür hatte sie offenbar ausführliche Recherchen über die alten Mordfälle von 1997 und die Verurteilung von Tobias Sartorius betrieben. Außerdem hatte sie sich für die Einwohner von Altenhain interessiert, hatte Namen bei verschiedenen Suchmaschinen eingegeben. Ein besonders starkes Interesse schien sie an der Familie Terlinden gehabt zu haben. Ostermann war enttäuscht. Er hatte gehofft, auf irgendeinen Chatpartner oder eine andere verdächtige Internetbekanntschaft zu stoßen, irgendetwas, was konkrete Ermittlungen ermöglicht hätte. Die von Bodenstein kurzfristig angesetzte Besprechung, bei der sich fünfundzwanzig Personen im Besprechungsraum des K11 drängten, war dann auch wenig ergiebig. Die Suche hatte man bei Einbruch der Dunkelheit ergebnislos abgebrochen. Dank der Wärmebildkamera des Hubschraubers hatte man ein Liebespärchen in einem Auto auf einem versteckten Waldparkplatz ausfindig gemacht sowie ein Reh im Todeskampf, das nach einem missglückten Schuss dem Jäger entkommen war, aber von Amelie gab es keine Spur. Man hatte mit dem Fahrer des 803er-Busses von Bad Soden nach Königstein gesprochen, der um 22:16 Uhr vor der Kirche in Altenhain gehalten hatte, ebenso mit seinem Kollegen, der wenig später die Gegenrichtung gefahren war. Keinem der beiden Männer war ein dunkelhaariges Mädchen aufgefallen. Auch die Taxizentralen aus der Umgebung hatten in der betreffenden Zeit kein Mädchen als Fahrgast chauffiert. Einer der Kollegen vom K 23 hatte einen Mann ausfindig gemacht, der beim späten Hundespaziergang am Samstagabend einen Mann auf der Bank an der Bushaltestelle hatte sitzen sehen, etwa gegen halb eins.
»Wir sollten Haus und Grundstück von Sartorius durchsuchen«, schlug Behnke vor.
»Wieso? Dafür gibt es noch keine Veranlassung«, widersprach Pia ihm sofort, obwohl sie wusste, dass das nicht ganz richtig war. Die Fakten sprachen leider deutlich gegen Tobias Sartorius. Seine Freunde hatten bestätigt, dass er gegen 19 Uhr in der Garage aufgetaucht war. Jörg Richter hatte ihn am späten Nachmittag angerufen und eingeladen. Tobias hatte einiges getrunken, aber nicht so viel, dass er davon einen solchen Filmriss hätte davontragen können. Gegen 22 Uhr hatte er die Garage verlassen, ganz plötzlich. Zuerst hatten sie gedacht, er sei nur pinkeln gegangen, aber er war nicht wiedergekommen.
»Mensch, ein siebzehnjähriges Mädchen, das erwiesenermaßen Kontakt zu einem verurteilten Mädchenmörder hatte, ist verschwunden«, regte sich Behnke auf. »Ich habe eine Tochter in dem Alter, ich kann verstehen, was in den Eltern vorgeht!«
»Denkst du, man muss selbst Kinder haben, um sich in die Eltern hineinversetzen zu können?«, schnappte Pia zurück. »Und wenn du schon dabei bist, Durchsuchungsbeschlüsse zu beantragen, warum lässt du nicht auch das Haus von Terlinden durchsuchen? Da haben die Hunde massenweise Spuren gefunden!«
»Das stimmt zwar«, mischte sich Bodenstein ein, bevor es zwischen den beiden zu einem Streit vor versammelter Mannschaft kommen konnte, »aber Amelies Stiefmutter hat selbst gesagt, dass das Mädchen sehr häufig bei den Nachbarn war. Insofern ist es fraglich, ob diese Spuren eine tatrelevante Bedeutung haben.«
Pia schwieg. Tobias hatte seinen Vater gebeten, die Wahrheit zu sagen, obwohl er wissen musste, dass ihn das alles belasten würde. Er hätte
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