Schneewittchens Tod
drehte den Kopf und suchte den lodernden Blick, der auf ihn gerichtet war, aber alle Puppen spielten eifrig ihre Rolle. Das pornografische Spiel in Annabelles Gameboy ließ ihm keine Ruhe. Nur ein Vertrauter hatte es einprogrammieren können. Er beobachtete Andrieu, sein männliches Gesicht, sein blondes, gut geschnittenes Haar, seine klaren, offenen Augen, seine sauberen, gepflegten Hände mit den viereckigen, gewölbten Nägeln. Hatten sich diese Hände an kleinen, panischen Mädchen zu schaffen gemacht? Er nahm einen Schluck Kaffee, fand ihn bitter. So bitter wie dieses geheuchelt fröhliche Essen wenige Tage nach der Bestattung eines gebrochenen Kindes. Hatten sie auch nach dem Tod von Leon festlich geschlemmt? Hatte Greg nur im Spaß von einer satanischen Sekte gesprochen?
Annabelle, die auf ihrem Stuhl zappelte und dabei war, ein winziges Blätterteiggebäck zu massakrieren, versetzte ihm mit dem Ellenbogen einen so heftigen Stoß, dass seine Tasse umzukippen drohte und der Löffel zu Boden fiel. Sein wütender Blick wurde mit einer herausgestreckten Zunge beantwortet, und er bückte sich rasch, um den Löffel aufzuheben. Kurzer Rundblick unter dem Tisch, Schock angesichts dessen, was er sah: Ein großer Fuß in marineblauen Socken glitt ein kariertes Hosenbein hinauf, verweilte im Schritt derselben Hose, und niemand muckste sich. Den Löffel in der Hand, tauchte Chib wieder auf, um zu eruieren, wem Fuß und wem Hosenbein gehörten. Charles! Charles, der in aller Seelenruhe Chassignol bearbeitete. Großer Gott! Ihm wurde fast schwindelig, und er musste kurz die Augen schließen, um sich wieder zu fassen. Charles und Supermacho-Chassignol! Chassignol, der, die Verlobte an seiner Seite, große Reden schwang und das Datum seiner Hochzeit bekannt gab, während Charles ihn unter dem Tisch befummelte.
Als hätte er seine Gedanken gelesen, wandte sich Chassignol, ein charmantes Lächeln um die Lippen, plötzlich an ihn.
»Was ist Ihnen denn passiert?«, fragte er und deutete auf Chibs Pflaster.
»Ach, nichts weiter als eine Kugel, Acht-Millimeter-Kaliber, im Kopf«, erwiderte Chib mit einem ebenso strahlenden Lächeln.
Winnie brach in ein zugleich perlendes und kristallenes Lachen aus und schüttelte ihre hübschen Prinzessinnen-Locken, woraufhin Chassignol die Stirn runzelte.
»Ich wusste nicht, dass Sie Jäger sind …«
»Ja, ich habe ein Spezialmodell, den bumm-bumm-Bumerang. Ideal, um sich selbst den Schädel zu öffnen.«
Es folgte ein kurzes Schweigen, unschlüssiges Lächeln, allgemeine Ratlosigkeit, der Belle-Mamie mit lauter Stimme ein Ende bereitete: »Auf das zukünftige Paar!«, woraufhin alle mit der Hast von Schiffbrüchigen, die nach der Trosse des Rettungshubschraubers greifen, sich erneut zuprosteten.
Chib fühlte, wie der pulsierende Schmerz zunahm und so stechend wurde wie von einer glühenden Nadel. Oder zumindest von der Vorstellung, die er sich vom Stich mit einer glühenden Nadel machte, denn bis dato hatte er keine Gelegenheit gehabt, es in vivo zu erproben; wenn sich die Dinge freilich so rasant weiterentwickelten, standen die Chancen gut, dass er schon bald mit besagter Nadel Bekanntschaft machen würde. Eine neue Erfahrung, die er auf der langen Nagelkette des Lebens würde aufreihen können.
Er richtete seine Aufmerksamkeit erneut auf Charles und Chassignol, beobachtete sie aus den Augenwinkeln, während er mit Gaelle und Winnie über den letzten Kinohit plauderte, den er gar nicht gesehen hatte. Dann begannen sich die Gäste, rosig und gesättigt, einer nach dem anderen zu erheben. Andrieu schlug eine Runde Billard vor, die von den Männern begrüßt wurde, während sich die Frauen für einen Rundgang durch den Garten entschieden. Chib verdrückte sich diskret zu den Toiletten. Er hatte Kopfweh, war völlig zerschlagen und fror. |a, er fror. Sonderbar, wie diese Kälte gekommen war, heimtückisch und schneidend. Beim Hinausgehen wurde er von Gaelle abgefangen.
»Ich habe mit Greg gesprochen, Aicha geht es gut. Du hingegen scheinst total kaputt. Du solltest dich ein bisschen hinlegen.«
»Ja, ich brauche nur zu fragen, wo das Besucherzimmer ist. Oder soll ich mich mit in die hübsche Kiste von Elilou legen?«
»Total kaputt. Du hast den Bogen überspannt, mein Lieber. Du gehörst nach Hause ins Bett. Ich bin sicher, dass niemand etwas dagegen hat, wenn du dich einen Augenblick in Aichas Zimmer aufs Ohr legst.«
Chib, dem schwindelig war, nickte willenlos. Ein Weilchen
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