Schneewittchens Tod
daliegen. Im Dunkeln, im Stillen. Ein bisschen Ruhe … Er ließ sich zu Aichas Zimmer führen, streckte sich erleichtert auf ihrem Bett aus, spürte, wie ihm Gaelle die Schuhe auszog, freundschaftlich seine Fußsohlen kitzelte, ohne dass er reagierte, und sank auf der Stelle in einen Schlaf, dicht wie Watte.
Baumwolle. Drei Männer in Lumpen, über Pflanzen mit weißen Kugeln gebückt. Spiralen aus Staub. Furchen roter Erde. Geruch nach rauchender Erde. Beißender Geruch nach Teer, der schmilzt. Säuerlicher Geruch von Schweiß auf den nackten Oberkörpern, unter den Armen und um den Mund. Langsame Bewegungen. Bisweilen ein kehliger Schrei. Staub, der hochwirbelt, rote Spiralen am blauen Himmel und schwarze Gesichter. Ein quietschender Karren in einer ockerfarbenen Wolke. Münder voller Staub, Arme, die sich heben und wieder senken, um die weißen Kugeln zu pflücken, keuchender Atem zwischen den Furchen roter Erde, die Hand auf der Stirn, um den Schweiß wegzuwischen, der quietschende Karren, drei Männer in Lumpen, die Augen voller Schweiß oder Tränen, die den Kopf heben und ihn betrachten, ohne Emotion, wie drei Steine in einem Baumwollfeld, unmöglich, ihrem steinernen Blick standzuhalten, zurückweichen. Zurückrennen zu der Straße, die schmilzt und mit dem Himmel verschmilzt, zurückweichen, fliehen, das Quietschen des Karrens und die Schritte der Ochsen, der fließende Schweiß, der grässliche Geruch der Baumwolle, fliehen …
Er fuhr aus dem Schlaf hoch, sein Mund so trocken, dass er Mühe hatte zu schlucken, seine Augen feucht. Feucht? Er hob die Hand an die Lider, fühlte die nassen Spuren auf den Wangen. Blut? Er betrachtete seine Finger. Es war kein Blut. Es schien aus seinen Augenwinkeln zu rinnen, einfach so. Er rieb langsam über sein Gesicht. Der Schweiß der Sklaven hatte das Dunkel durchquert, um in meine Augen zu kommen, dachte er, der Schweiß meiner Väter.
Er setzte sich langsam auf, trocknete sich Nacken und Gesicht mit einem Zipfel des Lakens. Der Wecker zeigte 15 Uhr 10 an. Er hatte eine halbe Stunde geschlafen. Seine Glieder schmerzten, als wenn er gelaufen wäre, gerannt über eine steinige Straße voller Schlaglöcher. Er streckte sich, dehnte die Muskeln in Rücken und Beinen. Tiefes Einatmen, langes Ausatmen. Er stand auf, ging in das kleine Badezimmer, um am Wasserhahn zu trinken, spülte sich den Mund mit einer Zahnspülung aus. Ziehen in seiner Wunde. Beginn der Vernarbung? Er band sich die Krawatte neu um, zog sein anthrazitfarbenes Jackett an, strich mit der nassen Hand durch seinen Bürstenschnitt und verließ das Zimmer. Trubel in der Küche. Männerstimmen in der Bibliothek. Er hörte die tiefe Stimme von Chassignol heraus. Er musste Gaelle erzählen, was er unter dem Tisch beobachtet hatte. Unentschlossen blieb er mitten in der Halle stehen, benommen von all den widersprüchlichen Gedanken, als er gerufen wurde.
»Spielen Sie nicht Billard?«
Er drehte sich um. Louis-Marie stand auf halber Treppe über das Geländer gebeugt, auf dem Kopf ein alter, verrosteter Militärhelm.
»Und du?«, fragte Chib, »was spielst du?«
»Ich bin im Einsatz hinter den feindlichen Linien«, vertraute ihm der Junge mit einem Augenzwinkern an. »Wie Sie.«
»Und deshalb schützt du dich?«, wollte Chib wissen und deutete auf seinen Helm.
»Ach, der hat meinem Großvater gehört. Den hat er von der zweiten Marne-Schlacht mitgebracht. Es steckt sogar noch ein Granatsplitter drin, schauen Sie.«
Er rutschte das Geländer herunter und hielt Chib den Helm hin, damit er den Metallsplitter darin bewundern konnte.
»Ja, super«, meinte Chib und hob reflexartig die Hand an seine Wunde. »Hast du deinen Großvater noch gekannt?« »Kurz. Er ist gestorben, als ich fünf war. Er war sehr alt. Er hustete die ganze Zeit, das war ekelig.«
Chib rechnete schnell nach. Louis-Marie war viereinhalb beim Tod des kleinen Leon, 1992. Enguerrand Andrieu war in dieser Zeit gestorben, Andrieu verlor also seinen Vater, kurz nachdem er seinen Sohn verloren hatte. Wenn der Großvater nun an der Marne gekämpft hatte, musste er, selbst wenn er damals erst achtzehn war, ein ganzes Stück älter gewesen sein als Belle-Mamie, die jetzt um die siebzig war. Er hob den Kopf und stellte fest, dass Louis-Marie ihn spöttisch betrachtete.
»In der Puppensammlung von Charles ist eine, die Ihnen ähnlich sieht«, sagte er. »Sie heißt Jim und hat viele schöne Kleider.«
»Stimmt es, dass Charles mit diesen Puppen
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