Schneewittchens Tod
vielleicht ein Saustall hier!«
»Auch eine Metapher«, beeilte sich Chib hinzuzufügen.
»Verwirrung, nichts als Verwirrung. Sie versuchen, uns in die Irre zu führen!«, verkündete Dubois mit drohender Stimme.
»Aus welchem Film zitieren Sie gerade?«, wollte Greg wissen.
Dubois starrte ihn fassungslos an.
»Wie bitte?«
»Ach, lassen wir das. Unsere Gaelle scheint sich bestens mit Königin Mutter zu verstehen.«
»Sie gehen nicht sehr respektvoll mit Ihren Mitarbeitern um, junger Mann.«
»Wenn man versucht hat, meinem Kumpel mit 'ner Knarre das Hirn aus dem Kopf zu blasen und meine kleine Freundin vergiftet wird, geht mein Kapital an Respekt allmählich zur Neige. Wie heißt es doch so schön: Es ist was faul im Staate Oz.« »Dänemark. Oz, das ist aus Der Zauberer von Oz«, verbesserte Chib.
»Ja? Na gut, auf jeden Fall stinkt's.«
»In diesem Punkt stimme ich mit Ihnen überein«, meinte Dubois.
»Josselin, wir sollten uns vielleicht zu den anderen begeben. Annabelle, hör jetzt bitte auf, das kleine Baby zu spielen!«
Andrieu versuchte, sein Hosenbein von den klammernden Armen seiner Tochter zu befreien, Chib sah den Blondschopf seinen Hosenschlitz streifen und konnte nicht umhin, sich eine widerliche Fellatio-Szene vorzustellen. Dubois packte die Kleine am Arm und riss sie mit Gewalt von ihrem Vater weg.
»Danke«, sagte Andrieu. »Ich weiß nicht, was sie hat; es ist infernalisch.«
Bei diesem Wort verfinsterte sich die Miene des Priesters, und er bedachte Chib mit einem eindringlichen Blick, als wollte er sagen: Na, da sehen Sie es!, bevor er, Belle-Mamie im Schlepptau, Jean-Hugues ins Esszimmer folgte. Chib fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er war ebenso ratlos wie erschöpft.
»Sag mal, die Alte will dich wohl adoptieren«, meinte Greg, als Gaelle sich zu ihnen gesellte.
»Sie ist ziemlich verwirrt und verärgert wegen allem, was passiert ist, und sie hat niemanden, mit dem sie reden kann. Sie misstraut Blanche, und ihr Sohn geht ihr aus dem Weg.«
»Kann ich gut verstehen!«, höhnte Greg.
Sie zogen sie in eine Ecke und erklärten Gaelle, was sie auf Annabelles Gameboy entdeckt hatten. Greg steckte ihn daraufhin in seinen Fliegerblouson, verkündete, es sei an der Zeit für einen Besuch in der Klinik, und machte sich aus dem Staub, ohne sich von den Andrieus zu verabschieden.
»Wenn Greg geht, hat man immer den Eindruck, aus einer Zone mit starken Turbulenzen zu kommen«, bemerkte Gaelle.
»Er war immer schon etwas lebhaft, das stimmt.«
»Aber du magst ihn.«
Das war keine Frage. Und wenn es eine gewesen wäre, hätte Chib keine eindeutige Antwort geben können. Vielleicht war es ähnlich wie mit dem Wort »lieben«, dessen er nie ganz sicher gewesen war. Er zuckte die Schultern.
»Was machen wir jetzt?«
»Keine Ahnung! Weißt du, jedes neue Ereignis hindert mich daran, über das vorangegangene nachzudenken, und so fische ich mehr und mehr im Trüben«, gestand sie seufzend ein. »Geht es dir auch so?«
»Das ist natürlich die Absicht des Täters. Die Ereignisse zu beschleunigen, um uns zu desorientieren, uns in Stress zu versetzen, uns Sand in die Augen zu streuen. Es ist so, als hätten wir es mit einem Balancekünstler zu tun, der seine Figuren so schnell nacheinander zeigt, dass man die einzelnen Nummern gar nicht schätzen kann.«
»Eher ein Zauberkünstler.«
»Ein Zauberkünstler und Seiltänzer.«
»Nein, die Seiltänzer, das sind wir«, erwiderte Gaelle, »Wir balancieren über das Seil zwischen der Wirklichkeit und seinen Phantasmen und können uns gerade noch aufrecht halten.«
»Meine Poetin, wie schön du das gesagt hast, aber bist du sicher, dass du von uns sprichst? Ich habe den schrecklichen Eindruck, dass du immer intelligenter wirst und ich immer debiler.«
»Das ist nicht nur ein Eindruck, Opa, das ist die Degeneration deiner Neuronen, die sich, nach zu intensiver Benutzung, beschleunigt, so dass du jetzt ganz eindeutig eine Tasse weniger im Schrank hast.«
In einer Anwandlung von Zärtlichkeit lächelte Chib und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Genau in diesem Augenblick trat Blanche, ihre lachsfarbene Serviette in der Hand, zur Tür heraus, um nach Colette zu rufen. Sie musste sie gesehen haben, eilte aber wortlos an ihnen vorbei in die Küche.
»Eine Frau unter Einfluss«, meinte Gaelle.
»Warum sagst du das?«
»Ihr Gang, ihre ganze Haltung. Zu steif. Zu kontrolliert. Ihre Stimme. Ihre Augen. Starr, funkelnd. Etwa so wie du, wenn
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