Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
hoffentlich bis bald«, sage ich.
Felix, der Ersatzmann für meine Schicht, ist inzwischen auch schon auf der Wache. Walter, der es die ganze Zeit so überaus eilig hatte, nimmt sich jetzt plötzlich die Zeit, zu erzählen, dass er den ganzen Tag über keinen Einsatz hatte, aber dann, als sein Feierabend beginnt, er für den fehlenden Kollegen Marc Dienst machen muss. Und dabei will er gerade heute doch grillen … Ich will schon gar nicht mehr zuhören, als er lamentiert: »Und dann zum Schluss noch so ein Schmarrn. Ein ›eiliger Krankentransport‹, der hätte wirklich Zeit gehabt.«
Mich ärgert Walters Selbstbezogenheit, und ich bin froh, als er endlich zur Tür hinaus ist.
Während er über den Hof zu seinem Wagen eilt, zuckt ein erster Blitz über den Himmel, das Donnergrollen folgt wenige Sekunden später.
* * *
Am Samstag darauf sehe ich Walter wieder. Er sitzt in der Wache am Küchentisch in eine Zeitung versunken. Als ich ihn grüße, schaut er mich über die Gläser seiner Lesebrille hinweg an und nickt.
»Da«, sagt er, nachdem ich frischen Kaffee aufgesetzt habe, »den Teil kannst du haben.«
Während die Kaffeemaschine noch läuft, blättere ich ein wenig in dem Lokalteil. Auf der letzten Seite fliegt mein Blick über die Todesanzeigen. Weiter unten ist eine unauffällige Anzeige, vielleicht so groß wie zwei Streichholzschachteln. Ich lese:
KRESZENZIA MERZINGER
12.3.1894 – 2.9.1984
Wie lange dem einen ein paar Minuten erscheinen, die vor ihm liegen – und wie schnell neunzig Jahre vorbei sein können.
Kommen und Gehen
I ch sitze zu Hause am Fenster, trinke noch eine Tasse Kaffee, bevor ich zum Nachtdienst in die Wache fahre. Zum ersten Mal seit mehr als zwei Wochen fällt ein wenig Abendsonne durchs Fenster. Ein Novembertag, gelbe Blätter an der Birke vor dem Haus, ab und zu ein Windstoß. Mein Blick wandert zurück zu dem Polaroidfoto auf dem Tisch. Es hat etwas Magisches. Immer wieder nehme ich es in die Hand, um es zu betrachten.
Es war erst gestern, und ich habe alles noch ganz lebendig vor Augen. Das Praktikum in einer Klinik war zu Ende gegangen. Die letzten drei Tage hatte ich doch noch auf der Geburtsabteilung absolvieren können. Ich hatte mehrfach darum bitten müssen, hier in die Arbeit hineinschnuppern zu dürfen; aber erst, als ich schon nicht mehr damit gerechnet hatte, wurde ich tatsächlich dorthin geschickt.
Und hinter dieser klinikgrauen Glastür, die aussah wie viele andere in dem großen Gebäude, empfingen mich frisch gestrichene Wände mit fotokopierten und gedruckten Geburtsanzeigen, mit gerahmten Babyfotos und Dankesbriefen – und ein fröhliches Lachen junger Frauen.
Als die drei mich bemerkten, stoben sie auseinander.
»Hallo, bist du der Georg?«, fragte die Dunkelhaarige der drei und streckte mir ihre zierliche Hand entgegen.
»Ja, ich – ich soll mich hier für ein dreitägiges Praktikum melden«, antwortete ich
»Ich weiß, ich bin Claudia, ich arbeite als Hebamme auf dieser Station, und du wirst mich die nächsten Tage begleiten.«
Trotz der vielen Arbeit nahm sich Claudia immer wieder Zeit, mir alle möglichen Dinge zu erklären. Zum Beispiel, welche Medikamente Wehen hemmen und welche sie fördern. Wie das mit dem APGAR -Schema funktioniert, mit dem man die Neugeborenen beurteilt, und welche Werte normal und welche bedenklich sind. Ich schaute zu, wie Patientinnen einen Wehenschreiber und Sonden für das Messen der kindlichen Herztöne angelegt bekamen. Claudia erklärte auch den hochschwangeren Frauen mit viel Geduld, was sie tat und wozu. Sie liebte ihren Beruf, das spürte man. Und sie hatte wirklich Ahnung.
»Also der Wehenknopf kommt auf die Stelle am Fundus, wo der Bauch in der Wehe am härtesten ist, und der Herztonknopf in den Bereich, wo der Rücken des Kindes ist – nicht mittig im Rückenbereich, sondern eher in Richtung Kopf. Du musst wissen: Die Herztöne des Babys können während der Wehe beeinträchtigt sein. Da ist ein immenser Druck auf dem Kopf des Kindes … Es ist ganz normal, dass die Frequenz dann stark zurückgeht. Aber in den Pausen zwischen den Wehen muss sie wieder ansteigen.« Obwohl es im Rettungswagen keinen Wehenschreiber gibt, hörte ich interessiert zu.
»Klappt es, dass ich bei einer Geburt mal dabei bin?«, fragte ich, als wir für eine Viertelstunde Frühstückspause machten. Eine Geburt mitzuerleben, das wäre großartig. Schließlich ist das in der Theorie etwas ganz anderes. Auch wenn es im
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