Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
noch einmal zurück zum Haus, unsere Ausrüstung holen. Die Haustür wurde bereits geschlossen, und ich muss auch diesmal mehrfach klingeln, bis die Frau öffnet.
»Unsere Sachen«, sage ich, während sie weitertelefoniert. Als ich mich, den Koffer in der einen, das EKG in der anderen Hand, die Sauerstofftasche über die Schultern gehängt und das Absauggerät unter den rechten Arm geklemmt an ihr vorbeizwänge, hält sie kurz den Hörer zu und verabschiedet mich mit: »Die Klinik wird sich ja sicher bei mir melden, wenn es was Neues gibt?«
»Ja, ganz sicher«, antworte ich.
Felix hat die Seitentür des Rettungswagens geöffnet und nimmt mir einen Teil der Sachen ab. »Fahr zu, wir bekommen keinen Notarzt.«
Zehn Minuten später in der Klinik ist der Patient immer noch bewusstlos, der Druck ist auf dem niedrigen Niveau stabil geblieben. Felix informiert den aufnehmenden Arzt über das, was wir wissen. Der Arzt hätte gern mehr Informationen, wir können nicht weiterhelfen.
Wir warten einen Moment, dann sagt man uns, dass der Patient in die größere Klinik nach Augsburg verlegt wird, den Transport wird der Augsburger Notarztwagen, der gerade in Lechhausen frei wird, übernehmen. Für uns ist der Einsatz beendet.
Felix holt uns im Supermarkt neben der Wache etwas zum Frühstücken, und wir machen es uns im »Wohnzimmer« gemütlich, zum Glück bleibt das Leitstellentelefon ruhig. Um zehn kommt Christian, der Leiter unserer Wache, mit seinem Fahrer von einem Krankentransport zurück. Sofort ist Schluss mit der Nichtstuerei für diesen Samstagvormittag, wir werden zum Lagerräumen und -putzen verdonnert. Felix geht in die hinteren Räume, ich arbeite im großen Lager gleich vorn, das mehr Fläche, aber weniger Regale hat. Das stupide Reinemachen lässt meine Gedanken schweifen. Wie es dem MS -Patienten wohl ergeht, wenn er aufwacht und niemand Vertrautes bei ihm ist? Aber er kennt das vermutlich schon. Mit dem Besen in der Hand schiebe ich diesen deprimierenden Gedanken zur Seite … Was Renate wohl gerade macht? Heute kommen meine Eltern zu Besuch. Laura, unsere Ältere, sie ist drei, plappert bestimmt schon den ganzen Morgen von nichts anderem, als dass Oma und Opa kommen. Unser Baby, Teresa, zahnt gerade und braucht viel Zuwendung. Nach ihrer Geburt hatte ich zusammen mit Renate schon mal überlegt, ob ich das Ehrenamt aufgeben soll. Die Familie braucht mich mindestens genau so sehr. Aber dann war es gerade Renate, die zögerte. »Wenn du damit aufhörst, fehlt dir doch etwas!« Ja, sie hatte recht. Ich hasse das frühe Aufstehen, ärgere mich hin und wieder auch mal über einen Kollegen. Und dennoch habe ich das Gefühl, diese Arbeit macht Sinn. Vielleicht mehr als so vieles andere, was ich tue …
Am frühen Nachmittag, Felix und ich wollen uns nach dem Aufräumen und Putzen im Lager einen Kaffee genehmigen, bekommen wir »Besuch«: Sonja von der Geschäftsstelle, eine zierliche Person mit langen roten Haaren. Bis vor Kurzem zumindest. Jetzt steht sie mit einer Kurzhaarfrisur in Lila vor uns.
Lispelnd erklärt sie, dass etwas mehr als tausend Briefe einkuvertiert, adressiert und freigestempelt werden müssen.
»Das schaffen wir heute nicht mehr«, sagt Felix. Damit ist die Sache für ihn erledigt.
Aber nicht für Sonja. Sie drückt Felix den Freistempler in die Hand.
»Deswegen ist es ja auch so nett, dass ihr gleich damit anfangt. Ich hab euch auch meinen Kassettenrecorder mitgebracht.«
»Nicht, dass ich jemandem etwas Schlechtes wünsche«, sagt Felix, nachdem Sonja wieder gegangen ist. »Aber jetzt käme mir ein Einsatz gelegen. Von mir aus darf es auch ein blinder Alarm sein.« Er greift in den Karton mit den Umschlägen. »Hast du ihre Haare gesehen?«
»Nein, Felix, ich bin blind«, witzele ich. Aber Felix ist nicht nach Scherzen.
Zwei Stunden später läuft die einzige Kassette, die wir haben – nämlich die, die in Sonjas Kassettenrecorder steckte –, zum dritten Mal. Vielleicht liegt es auch an den vielen Umschlägen, aber Cat Stevens geht mir langsam auf die Nerven.
Und Felix’ Reden über seine neue Geschäftsidee auch.
Ein Strukturvertrieb, mit dem er demnächst ein Hautpflegemittel, das völlig neu auf dem Markt ist, vertreiben möchte. »Das kriegst du sonst nirgends«, sagt er. »Und diese Art von Geschäft ist die Zukunft, Georg. Das wird alle anderen Vertriebswege nach und nach ablösen. Das könnte auch etwas für dich sein, glaub mir!«
»Wenn du einen Werbefachmann
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