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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lehmacher
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brauchst, dann helfe ich dir gern …«, sage ich.
    »Nein, du solltest in das Geschäft mit einsteigen. Wenn du bei dieser ›Produktlinie‹ gleich zu Beginn dabei bist, kannst du jede Menge Geld verdienen. Du bekommst Riesenboni. Und eine Stunde am Tag hat doch jeder übrig, du telefonierst ein wenig und schon hast du nebenbei …«
    »Also wildfremde Menschen anrufen, um ihnen etwas zu verkaufen, ne, das ist nicht mein Ding.«
    »Aber nach einem Jahr oder anderthalb bis du schon bei 4.000 Mark pro Monat. So leicht kannst du dein Geld sonst nirgends verdienen. Du …«
    Ich lasse Felix’ Gerede in mein eines Ohr hinein und durch das andere hinaus. Ein Blick auf meine Armbanduhr. Noch eine Viertelstunde, dann haben wir es geschafft. Vielleicht sogar vorher, denn die Kollegen von der Nachtschicht sind bestimmt jeden Moment da.
    Das Leitstellentelefon reißt mich aus meinen Feierabendgedanken und beendet ebenfalls schlagartig Felix’ Monolog.
    Ein Suizidversuch in einem der Hochhäuser im Herrenbachviertel. »Der Einsatz kam über die 110 rein«, informiert uns die Leitstelle zusätzlich zur eigentlichen Meldung. »Die ›Streife‹ ist ebenfalls unterwegs.«
    Während ich den Wagen in der Abenddämmerung über die teils glatten Straßen kämpfe, erklärt mir Felix, dass er die Kollegen, die uns ablösen, so richtig zur Sau machen werde. Es sei unkollegial, erst so kurz vor Dienstbeginn einzutrudeln. »Wären die einen Moment früher dagewesen …«
    »Sei mal still …« Ich kann bei dem ganzen Lamentieren den Funk nicht verstehen, und gerade in dem Moment, in dem wir vor dem Hochhaus anhalten, meldet die Leitstelle noch, dass der Notarztwagen vom Klinikum verzögert nachkommt.
    Fünfzig oder mehr Namen stehen auf dem großen Klingelschild, die Etagennummern fehlen, Reihe für Reihe lasse ich meinen Finger die Namen entlangwandern, endlich der Name: »Y. Stabo«.
    Die Geräusche der Stadt, ein wellenartiges Rauschen, aus dem sich nur die Motorgeräusche vereinzelt herausheben, irgendwo weiter weg ein Martinshorn, vielleicht schon der Notarzt, der auch hierher unterwegs ist, dazu der Widerhall von den glatten Betonwänden: Felix und ich beugen uns runter zum Lautsprecher der Sprechanlage, um besser verstehen zu können, wenn sich jemand meldet, aber stattdessen summt gleich der Türöffner. Wir laufen zum Fahrstuhl. Im Vorraum penetranter Uringeruch, ein Mann kommt nach uns durch die Eingangstür. Als sich die Aufzugtür öffnet, schiebt er sich mit in die Kabine. »Wir haben einen Notfall«, sagt Felix und drückt auf die Zwölf. »Warten Sie bitte draußen und nehmen den nächsten Aufzug, oder lassen Sie uns zuerst nach oben fahren.«
    Der Mann, der etwa Mitte dreißig sein wird, könnte dem Typ nach aus dem Balkan stammen. Er drückt ungerührt die Fünf.
    »Das meinte ich eben, dass Sie damit bitte warten …« Felix stöhnt.
    »Nicht wiss«, sagt der Mann. »Nicht verstehn.« Der Mann schaut uns groß an.
    Da kommt noch eine jüngere Frau auf den Aufzug zu, aber die Türen schließen sich, bevor sie ihn erreicht, und die Kabine setzt sich in Bewegung.
    »Der hat uns ganz genau verstanden«, sagt Felix, als der Mann in der fünften Etage ausgestiegen ist.
    »Ach, Felix …«, sage ich.
    »Wenn du das überlegst, das war hier mal als Wohnblock für die oberen Zehntausend gedacht, sündhaft teure Wohnungen, entsprechende Geschäfte und Läden alle in der Nähe …« Felix redet sich in Fahrt, doch dann erreichen wir die zwölfte Etage. Endlose Gänge nach rechts und links, keine Ahnung, auf welcher Seite sich die Wohnung befindet.
    »Du hier lang, ich da«, sagt Felix.
    Plötzlich geht das Licht aus, man sieht nur noch die Notbeleuchtung der Lichtschalter, die grünen Schilder für die Notausgänge und die verwaschenen Reflexionen davon auf den glatten Linoleumböden. Trostlosigkeit, die sich spiegelt.
    Die Deckenlampen beginnen zu flackern, dann ist alles wieder hell ausgeleuchtet. Aus einer Wohnung höre ich ein Kind rufen oder schreien, so genau kann ich es nicht ausmachen, dann bricht das Kindergeschrei ab und die schimpfende Stimme einer Frau dringt dumpf in den Flur.
    »Hierher …«, hallt Felix’ Stimme durch die Gänge.
    Felix drückt die Klingel zum zweiten oder dritten Mal, als ich fast bei ihm bin.
    Süßlicher, schwerer Moschusduft schlägt uns entgegen. Eine Dame im Bademantel, die uns öffnet. Sie hat sehr kurzes blondes Haar, fast zur Glatze geschnitten, trägt auffallend große Kreolen. Ihr

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