Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
beiden Belgier waren frisch verheiratet und quer durch Europa auf Hochzeitsreise unterwegs.«
Ich stelle meinen Kakao irgendwo ab.
»… na ja, der Unfall ist wohl bei einem Spurwechsel passiert«, fährt sie fort.
»Ja, das wussten wir, wir waren ja draußen. Aber … das andere wussten wir nicht.«
Der Kakao.
Er steht vor einer Scheibe und spiegelt sich. Und unser Rettungswagen spiegelt sich auch. Und auch der Notarzt und Frank, die beide danebenstehen. Und diese Frau, die einfach immer weiterredet. Ich höre nicht mehr hin.
Dann drehe ich mich um und gehe einfach.
Ich schnappe mir unseren Beatmungsbeutel und verschwinde damit in einem Reinigungsraum der Klinik, um ihn zu säubern und vorab schon einmal grob zu desinfizieren.
Als ich nach einer Weile zum Wagen komme, ist der Notarzt bereits von seinem Sani abgeholt worden. Frank sieht gerade den Koffer durch, füllt Material auf und schreibt dazu die übliche Liste, was wir später aus dem Materiallager besorgen müssen.
Schließlich wischen wir noch gemeinsam den Boden im Patientenraum. »Du hast da Blut«, sagt er irgendwann.
Ich schaue an mir runter. Tatsächlich: Mein Sweatshirt hat etwas abbekommen.
Eine halbe Stunde haben wir gebraucht, um das Auto wieder einigermaßen klarzubekommen. Frank meldet uns bei der Leitstelle frei, sagt aber gleich dazu, dass wir nicht wirklich »klar« sind und jetzt zuerst zum Auffüllen zur Wache fahren.
»Cool, dass du gleich hergefunden hast«, sagt er, als ich den Wagen in Bewegung setze.
»Ich war doch schon ein paarmal hier«, tue ich es ab. »Und es gibt jede Menge Schilder, die den Weg zum Krankenhaus leiten.«
Seine Komplimente kann er sich sparen.
Ich bin noch nicht ganz aus der Notaufnahme rausgefahren, draußen ist es bereits dunkel, da bremse ich auch schon wieder ab. Wenige Meter vor uns sitzt der junge Motorradfahrer unter einer Laterne auf dem Rand eines Blumenkastens, den Oberkörper tief nach vorn gebeugt. Den Kopf hat er zwischen den Händen aufgestützt, sodass man sein Gesicht nicht sehen kann. Aber an der Motorradkombi und dem Pferdeschwanz erkenne ich ihn sofort wieder.
»Und jetzt?«, will Frank wissen. »Was jetzt?«
»Weiß nicht«, sage ich. »Aber sollen wir ihn vielleicht hier einfach so sitzen lassen?«
Er schaut sich um, holt tief Luft.
Aber dann kommt eine Krankenschwester aus dem hellerleuchteten Klinikgebäude angelaufen und setzt sich zu ihm. Gott sei Dank .
Was hätten wir ihm denn sagen können? … »Es tut uns leid?« … Wir fahren weiter.
Ein paar Minuten später kommt uns »mit Blau« ein Rettungswagen entgegen. Frank schaut gar nicht hoch. Er hat die ganze Zeit leise fluchend nach seinem Feuerzeug gesucht, die Zigarette schon im Mundwinkel, das Fenster bereits geöffnet. Ein schweres, teures Metallfeuerzeug. Jetzt will es nicht anspringen. »Mist. Verfluchter Dreck!« Er schreit richtig und schmeißt das Ding mit voller Wucht auf das Armaturenbrett.
»He, spinnst du? Was ist los?«, rege ich mich auf.
Er antwortet nicht.
Wir fahren schweigend weiter. Man hört nur den Motor und ab und zu den Funk. Frank schließt das Fenster.
Dann passieren wir die Stelle, wo gegenüber dieser Unfall war. Wo wir noch vor etwa einer knappen Stunde gehofft hatten, noch etwas für diese junge Frau tun zu können. Der Himmel ist grau, so grau wie diese Metalltür in der Klinik. Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich noch einmal den jungen Mann in der Motorradkluft vor meinen Augen. Aber in meiner Vorstellung sehe ich ihn wie von irgendwo weit oben. Wie schrecklich einsam er ausschaut. Eine Einsamkeit, die gerade erst entstanden ist. Eine Einsamkeit ohne Hoffnung.
Frank reißt mich aus meinen Gedanken.
»Mein Gott, diese dumme Kuh!!! Diese blöde Kuh!«, schimpft er lautstark, als wir die A8 gerade wieder verlassen. »Was muss die ihre Hochzeitsreise mit dem Motorrad machen! So ein Shit! Diese Scheißmotorradfahrer! Scheiße! Verdammte Scheiße. Das gibt’s doch nicht. Ja, so eine blöde Nuss!«
Ich bremse ab, bleibe an einer Ampel stehen, obwohl Grün ist. Es kommt lauter und ungehaltener aus mir heraus, als ich es wollte: »Weißt du was, Frank? Halt doch einfach dein Maul!«
Er sagt nichts mehr. Wir fahren wieder. Vermutlich ist er jetzt beleidigt. Okay. Soll er beleidigt sein.
Kurz bevor wir die Wache erreichen, sagt er in versöhnlichem Ton: »Danke.«
In dieser Nacht haben Frank und ich erst einmal keinen weiteren Einsatz, und während ich im Schlafraum liege, denke
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