Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
kann uns der Patient nicht aufmachen«, halte ich Felix’ Spott entgegen.
»Ja, klar«, sagt er angriffslustig. »Ein Bewusstloser, der den Notruf selbst abgesetzt hat.«
Ich ignoriere seine Bemerkung. Ich meine, diesen Hauseingang mit dem Windlicht neben der Tür wiederzuerkennen und überlege angestrengt, ob ich schon einmal zu einem Einsatz hier war. Aber es stellt sich keine Erinnerung ein.
Gerade als sich Felix zum Gehen wenden will, öffnet sich doch noch die Tür.
Eine Frau in einem glänzenden weißen Morgenmantel mit silberner Stickerei steht mit einem Telefon am Ohr im Türrahmen. Kaugummi kauend beendet sie ihr Telefonat. Eilig scheint sie es nicht zu haben.
»Wären Sie so freundlich, uns zu dem Patienten zu bringen?« Felix ist geladen, und das will er auch gar nicht verbergen.
Die Frau deutet auf eine Tür, die von dem kleinen Flur links abgeht, da schiebt Felix sie auch schon zur Seite.
In der Küche ist auf den ersten Blick – außer jeder Menge Puppen, die auf der Fensterbank, in Regalfächern und auf den Schränken dekoriert sind – niemand zu sehen.
Felix und bückt sich. »Schnell!«, ruft er. Jetzt fällt auch mein Blick auf die Füße in den grau karierten Pantoffeln, die unter dem Tisch hervorschauen. Wir heben den Tisch zur Seite.
»Hallo? Hallo?« Felix klopft ein paarmal mit der flachen Hand gegen die Wange des Patienten, der einen alten, gestreiften Pyjama trägt.
Ich drücke den tragbaren Fernseher, der am Ende der Arbeitsplatte vor sich hin flimmert, aus.
»Keine gute Gesichtsfarbe«, sagt Felix. Er fühlt am Hals nach dem Puls des Mannes. »Ist noch da«, sagt er.
Die Frau steht in der Küchentür. Dieses zähe, desinteressierte Kaugummikauen bringt mich für den Bruchteil einer Sekunde völlig aus dem Tritt. Als ob es der Kaugummi ist, der das Gesicht der Frau in einer klebrigen Zeitlupe hin- und herschiebt.
»Georg, hallo?« Felix holt mich zurück. »Hier ist der Patient!«
Rasch öffne ich das Pyjama-Oberteil, einer der oberen Knöpfe fehlt, und klebe die Elektroden des EKG s auf den fahlen Brustkorb des Mannes. Felix misst den Blutdruck und kontrolliert den Puls.
»Der Druck ist irgendwo bei 70, der Puls … na ja, irgendwo bei 120 oder so.«
Ist der Blutdruck erst einmal deutlich unter 80, dann wird es schwieriger, ihn genau zu bestimmen.
Felix beugt sich zu dem Patienten hinunter und schnüffelt. Aber dann schüttelt er den Kopf. »Kein Alkohol.«
»Notarzt?«, frage ich mehr der Form halber. Felix nickt.
Die Frau steht nicht mehr im Türrahmen.
»Heeee! Kommen Sie bitte noch einmal!«, brüllt Felix, während ich zum Auto laufe und bei der Leitstelle einen Arzt anfordere.
Erst beim erneuten Betreten der Wohnung fällt mir der zusammengeklappte Rollstuhl auf, der an einer Wand im Flur lehnt, und jetzt ist auch die Erinnerung wieder da. Der Patient leidet an Multipler Sklerose.
Wieder im Haus höre ich Felix.
»Das ist doch Ihr Mann, oder?«
Ich sehe wie das Kaugummigesicht nickt.
»Ich kenne den Patienten«, unterbreche ich Felix’ Befragung. »Ich habe ihn vor einigen Monaten schon einmal in die Klinik nach Augsburg gefahren. Wegen seiner MS .«
Felix wendet sich wieder der Frau zu.
»Können Sie uns sagen, wie das passiert ist?«
»Keine Ahnung«, sagt sie. Und dann: »Ich weiß es wirklich nicht.«
»Und wie lange liegt er schon hier?«
»Mh.« Sie zieht die Schultern hoch, schaut auf die Küchenuhr. »Eine knappe Stunde … oder so?«
»Wie bitte?«, frage ich. »Und warum haben Sie uns nicht sofort angerufen?«
»Ich dachte, er steht wieder auf.«
Felix und ich blicken uns für den Bruchteil einer Sekunde ungläubig an.
»Komm, ab ins Auto. Keine Zeit verlieren«, sagt Felix. Er bleibt beim Patienten, ich laufe erneut zum Wagen.
»Brauchen Sie mich noch?«, fragt die Frau, als ich mit der Trage zurückkomme. »Ich müsste noch mal telefonieren.«
Mir fehlen die Worte.
»Nein!«, ruft Felix aus der Küche. »Sie brauchen wir garantiert nicht mehr, ganz herzlichen Dank.«
Auf dem Weg zum Telefon dreht sie sich noch einmal um. »Ach ja, er hatte vor Kurzem mehrere Schübe hintereinander … lange wird das sicher nicht mehr gehen.«
Während wir den Mann auf unsere Trage legen und hinaustransportieren, ist die Frau bereits wieder in ein Telefonat vertieft.
Der Himmel draußen hat mittlerweile eine hellblaue Farbe angenommen, ein Auto fährt umständlich an unserem Rettungswagen vorbei.
Felix steigt hinten zum Patienten ein, ich muss
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