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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lehmacher
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fehlen zwei Ampullen Adrenalin. Und Handschuhe musst du mal nachfüllen, für ein paar Einsätze müsste es noch reichen. Der Rest ist okay.«
    Eine Fahrzeugübergabe im Stenografiestil.
    »Da.« Er hält mir einen Zettel hin. »Wenn ihr ins Klinikum kommt, dann schau mal, von dem fehlt mir noch das Geburtsdatum.«
    Kurz darauf ein Blick zurück zur Wache auf das sich schließende Tor. Martin, der müde auf den Eingang zusteuert, seine weißen Zettel in der Hand. Auf dem Gehsteig vor der Wache zwei Mädchen, die uns groß anschauen und sich die Ohren zuhalten. Rein vorsorglich, denn die Straße ist komplett frei, und das Martinshorn brauche ich gar nicht.
    »Das ist der Dritte im Unterzucker heute, möchte mal wissen, was da los ist.«
    Bereits als ich von der Hauptstraße zum Einsatzort einbiege, sehe ich etwa zweihundert Meter vor mir das weiße Auto mit den Leuchtstreifen und eingeschaltetem Warnblinker, mitten auf der Straße – woanders ist kein Platz. Die Straße ist eng, nirgendwo eine Lücke, in der man sich mit so einem großen Wagen seitlich abstellen könnte.
    Ein Mehrfamilienhaus. Als wir vor dem Eingang stehen, summt schon der Türöffner.
    »Er lag vorm Bett und hat nicht mehr reagiert«, sagt die Frau, die uns oben an der Wohnungstür empfängt. Eine kleine vornehm gekleidete, zierliche Dame mit einer ruhigen Stimme. Dem Anschein nach müsste sie so um die sechzig Jahre alt sein. Durch die Schlafzimmertür hindurch kann man den Patienten sehen, der auf der Bettkante sitzt, das Gesicht in die Hände gestützt; davor die beiden Kollegen, noch mit dem Rücken zu uns gedreht. Der eine der beiden hält die Infusion nach oben. Als der andere, ein kleinerer untersetzter Typ, sich umdreht, erkenne ich ihn: »Ferdinand«. Eigentlich heißt er Peter, aber alle nennen ihn Ferdinand. Das ist an ihm hängengeblieben, seitdem er einmal einer neuen Kollegin erzählt hatte, er sei vom Sternzeichen her Stier. Denn die war ein Fan von Ferdinand, dem Stier. Muss wohl eine Figur aus einem Kinderbuch sein, so ganz genau weiß ich es selbst nicht.
    »Der Patient hatte einen Dex von unter zwanzig, wir haben ihm zwei Ampullen Glucose gespritzt, jetzt ist er zwar wieder ansprechbar, aber eben irgendwie noch neben der Spur.«
    Ferdinand begrüßt Max und mich gleich mit den wichtigsten Infos. Ein Blutzuckergehalt von zwanzig Milligramm pro Deziliter ist definitiv zu niedrig.
    Der Patient schaut uns groß an. »O je, da kommen ja immer mehr.«
    »Grüß Gott, Herr Möller. Mein Name ist Schmieder, ich bin der Notarzt«, stellt sich Max vor.
    Herr Möller schaut von einem zum nächsten, zwischendurch sieht er immer wieder seine Frau an. »Und was wollen Sie jetzt von mir?«, will er dann von Ferdinand wissen.
    Dem Mann sieht man schon jetzt, wo er auf der Bettkante sitzt, an, dass er nicht nur breit gebaut, sondern auch groß ist. Dunkle, etwas fleckige Haut, buschige Augenbrauen, ein älteres Gesicht mit lachenden Falten und weißen Haaren, die in Büscheln in alle möglichen Richtungen stehen: Irgendwie habe ich den Gesichtsausdruck eines netten Adlers oder Geiers aus dem Dschungelbuch in meinen Gedanken vor mir.
    »Wieso stehen Sie alle in meinem Schlafzimmer?«, fragt er noch einmal.
    Ferdinand verdreht die Augen und holt erst einmal tief Luft, ehe er antwortet. Vermutlich stellt der Patient diese Frage nicht zum ersten Mal. »Wir sind hier, weil sie am Boden lagen und nicht mehr reagiert haben.«
    »Aha.«
    »Wir geben ihm noch einmal eine Ampulle Glucose«, ordnet Max an. »Vielleicht wird es dann ja besser.«
    »Er war den ganzen Tag schon so schlapp«, sagt die Frau. »Er ist Diabetiker, und wir haben heute Abend normal gespritzt.«
    »Und gegessen …?«, fragt Max.
    »Na ja. Ein wenig, aber nicht sehr viel. Er wollte sich eben gleich hinlegen, weil es ihm nicht gut ging.«
    Der erstaunte Blick des Mannes, der auf der Bettkante sitzt, fällt nun auf mich. »Was wollen Sie denn alle hier von mir?«, fragt er dieses Mal mich und wischt sich über die verschwitzte Stirn.
    Bevor ich antworten kann, setzt er hinzu: »Wer hat Sie denn überhaupt gerufen?«
    »Ich denke mal, Ihre Frau. Sie lagen wohl am Boden und waren im Unterzucker.«
    »Ach so«, sagt er. Dann hakt er noch mal nach. »Schon wieder im Unterzucker? Heute?«
    »Ja«, sage ich. Fassungslos schüttelt er den Kopf. Ich stelle mir kurz vor, wie das alles wohl aus seiner Sicht ist: Man hat keine Ahnung, was gelaufen ist. Filmriss komplett. Und dann sieht man mit

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