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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lehmacher
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einem Mal vier fremde Menschen in seinem Schlafzimmer. Aus dieser Perspektive muss einem das alles merkwürdig vorkommen.
    Ferdinand setzt die Spritze mit der nächsten Glucose an. Max nickt, und Ferdinand drückt den Inhalt der Spritze langsam in den Kunstoffkatheter der Infusionskanüle, die im Handrücken des Patienten liegt.
    Der andere Kollege, den ich noch nicht kenne, wendet sich leise an mich: »Na, hat der Martin es doch noch auf die Wache geschafft, der war echt gestresst zum Schluss …«
    Ich grinse.
    »Herrje … – Ich bin ja gar nicht richtig angezogen. Was wollen Sie denn alle hier bei mir in meinem Schlafzimmer?«, möchte der Patient wieder wissen.
    Max erklärt es ihm noch einmal, dann erkundigt er sich: »Und das mit dem Schlappsein, wie hat sich das geäußert?«
    Die Frau berichtet, dass ihrem Mann das Treppensteigen schwergefallen sei und auch alles andere, und er habe auch ein wenig Rückenschmerzen gehabt.
    »Sie hatten Rückenschmerzen?« Max rückt näher an den Patient heran.
    »Ich? Nein, ich kann mich nicht erinnern«, sagt der Mann.
    Ferdinand hält schon die nächste Glucose in der Hand. »Ja«, sagt Max. »Die eine geben wir ihm noch. Und dann schreiben wir erst einmal ein EKG . Ein großes.«
    Das große EKG zeigt mehr Ableitungen, unterschiedliche Kurven, die die elektrischen Aktivitäten des Herzens zwischen mehr unterschiedlichen Punkten zeigen. Es ist ein wesentlich genaueres Instrument, um Veränderungen zu diagnostizieren, als das kleine EKG mit nur vier Elektroden.
    Offenbar möchte Max untersuchen, ob der Patient zusätzlich zum Problem mit dem Blutzucker auch einen Herzinfarkt haben könnte. Oder er möchte einen Infarkt zumindest ausschließen, um sicher zu sein, dass er den Patienten bedenkenlos zu Hause lassen kann, wenn es ihm entsprechend besser geht.
    »Sind Sie wegen mir hier?«, erkundigt sich der Patient höflich.
    »Ja.« Ferdinand nickt. »Wegen Ihnen.«
    »Aha«, sagt der Mann und blickt auf seine Hände, die er jetzt vor sich auf den Knien liegen hat, während der Kollege die EKG -Elektroden klebt.
    »Wegen meinem Zucker?«, hakt der Mann nach. Er scheint zumindest wieder mehr in der Situation zu sein.
    »Ja, wegen Ihrem Zucker und weil Sie bewusstlos vor dem Bett lagen«, erklärt ihm Ferdinand noch einmal.
    »Schon wieder der Zucker«, sagt der Mann. Dann schaut er wieder zu mir herüber. »Ich hab gar nicht mitbekommen, wie Sie ins Haus gekommen sind. Na sowas.« Er schüttelt den Kopf. »Gibt’s ja nicht …«
    »Jetzt mal bitte nicht reden, Herr Möller, wir schreiben ein EKG .«
    Ferdinand drückt einen der kleinen Knöpfe an dem EKG , und der lange Papierstreifen schlängelt sich mit einem hohen Summton aus dem Gerät in Ferdinands Hände.
    Kurz fällt sein Blick darauf, dann reicht er den Streifen weiter. »Bitteschön, Herr Doktor.«
    Max schaut sich den Streifen verhältnismäßig lange an, zieht ihn immer wieder durch seine Hände, um die verschiedenen Kurven zu sehen. »Hatte Ihr Mann schon mal einen Infarkt?«, will er wissen.
    »Nein, nur das Problem mit dem Zucker«, antwortet die Frau. »Hat er denn jetzt …«, beginnt die Frau einen Satz.
    »Wie ist denn die Sättigung?«, möchte Max von mir wissen.
    Die Sauerstoffsättigung im Blut kann man nicht direkt messen, aber das Pulsoxymeter, das die Kollegen angeschlossen haben, eine kleine Sonde, ermittelt den Wert über die Färbung der durchbluteten Haut im roten und infraroten Bereich in den meisten Fällen recht zuverlässig.
    »93 Prozent«, lese ich ab. Kein wirklich guter Wert, aber auch nicht schlecht.
    »Mh.«
    »Stimmt was nicht mit dem EKG ?« Die Frau klingt besorgt.
    »Eigentlich ist es in Ordnung. Es ist leicht verändert, aber – nichts, was auf einen frischen Infarkt oder ein größeres Problem hindeutet.«
    »Wissen Sie denn, welchen Tag wir heute haben?«, wendet sich Max an den Patienten.
    »Na ja, wenn ich nicht zu lange weggetreten war, müsste noch der neunte sein. Freitagabend eben.« Das Datum und der Wochentag stimmen.
    »Und wie viel Uhr etwa?«
    »Das würde ich auch gerne mal wissen, da fragen Sie mich was. Ich weiß nicht, wie lange ich nichts mitbekommen habe. Abends eben.« Dann schaut er aus dem Fenster. Die Sonne ist wohl gerade untergegangen, ein graues Schwefelgelb, der Himmel hat etwas eigenartig Künstliches. »So zwischen acht und neun Uhr vielleicht?«
    So weit scheint der Mann wieder klar zu sein. Max nimmt noch einmal das EKG , das auf dem Tisch liegt.

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