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Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet

Titel: Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lehmacher
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Merkwürdig. Ich bleibe dahinter stehen, steige aus und gehe vor, um Ferdinand zu fragen, was los ist. Aber ich bin noch nicht mal bei dem Wagen, da blitzt es mit einem Mal von oben blau in alle Richtungen, der Rettungswagen setzt sich wieder in Bewegung, jetzt nicht mehr so ruhig und gleichmäßig wie vorher. Der alte Dieselmotor dreht hoch, das Martinshorn hallt durch die Straßen, dann ist das Auto hinter einer Biegung nicht mehr sichtbar. Noch ein paar Reflexe des blauen Blitzens in den Schaufensterscheiben der Straße, der Verkehr vor mir schließt sich wieder.
    Der Zustand des Patienten muss sich dramatisch verschlechtert haben. Max … der hatte offenbar recht, ihn mitzunehmen. Was er wohl erkannt oder bemerkt hat, das ihn zu dieser Entscheidung brachte?
    Am Funk höre ich Ferdinands Stimme: »Leitstelle von 33/04 mit Voranmeldung.«
    »Schreibklar, geben Sie durch …«
    »33/04, Patient männlich, 65 Jahre, bitte Kabine freihalten für einen Hinterwandinfarkt, Patient intubiert, beatmet, Eintreffen in ca. 8 Minuten.«
    Jetzt weiß ich, weshalb die Kollegen kurz angehalten haben.
    Wenig später die Bestätigung: »33/04, Sie sind angemeldet, einmal Verdacht Hinterwand, intubiert, beatmet, Kabine 2, Pfleger Daniel.«
    Von Ferdinand höre ich nichts mehr am Funk, dann noch einmal die Stimme der Leitstelle.
    »33/04, Sie sind angemeldet, konnten Sie mich aufnehmen?«
    Jetzt höre ich Ferdinands Stimme zwischen dem durch den Funklautsprecher verzerrten Klang des Martinshorns. Er hält sich knapp: »Leitstelle von 0–4, unter Reanimation auf dem Weg ins Klinikum.«
    Parkende Autos, zwischen denen man kaum in die Notaufnahme kommt, vor dem Seiteneingang ein paar Patienten und ein paar Pflegekräfte in blauen Kitteln, die rauchen und über allem dieses riesige Schild, das über mir nach hinten verschwindet mit diesen manngroßen, beleuchteten Buchstaben, die das Wort »Notaufnahme« weit in die Nacht hinausstrahlen. Ich wende mein Fahrzeug in der Halle und stelle es davor ab. Der Rettungswagen der Kollegen steht verlassen hinter mir im kalten Neonlicht. Die hinteren Türen sind noch geöffnet, das Gestell der Trage ragt aus dem leeren Auto, in dem die Lampen noch über dem Platz leuchten, an dem gerade noch dieser ältere Herr mit den buschigen Augenbrauen lag.
    Als ich drinnen ankomme, sehe ich die Ehefrau unseres Patienten, die, mitgenommen von dem gerade Erlebten, vor einem Schalter sitzt. Mit verweinten Augen beantwortet sie ein paar Fragen, bis endlich der Drucker auf der anderen Seite des Schalters die Akte auswirft, Aufkleber, die zigfach den Namen und die wichtigsten Daten des Patienten zeigen, die auf Blutröhrchen geklebt werden, auf Laborberichte, auf alles, was eben diesem Menschen, den wir gerade hier in das Haus gebracht haben, zugeordnet werden muss.
    Dann händigt mir die Dame von der Aufnahme die ockergraue Mappe aus, in die sie die ganzen Aufkleber gesteckt hat. »Würdest du bitte?«
    Ja, sicher, ich bringe die Akte nach drinnen.
    Der Gang vor den schweren Schiebetüren: eine große Ziffer »2« an einer dieser Türen. Als ich sie zur Seite ziehe, kommen mir Ferdinand und sein Kollege schon entgegen und schieben die leere Trage an mir vorbei. Ein Pfleger zieht mir den Ordner aus der Hand. »Bleib bitte gleich draußen.« Ein kurzer Blick in die Kabine. Der Patient liegt auf der Liege der Klinik, er wird immer noch beatmet, aber man sieht niemanden mehr bei der Herzdruckmassage, offenbar schlägt das Herz wieder selbst. Ein rhythmisches Pfeifen des EKG s in der Kabine, Max, der sich mit einem Kollegen unterhält, drei oder vier Menschen, die rund um Herrn Möller in Bewegung sind, dann schließt sich die schwere Schiebetür wieder.
    Wortlos zieht Ferdinand das Einmallaken von der Trage, wirft es zusammengeknüllt in einen Mülleimer und rückt dann das Kopfkissen wieder gerade. Zu dritt gehen wir durch die automatisch aufklappenden Türen wieder nach draußen. Als wir am Warteraum vorbeigehen, fällt auch Ferdinands Blick auf die wartende Ehefrau des Patienten. Weit vorgebeugt hält sie das Gesicht in ihrer Hand, den Ellbogen auf das Knie gestützt. Regungslos sitzt sie da. Ferdinand geht zu ihr, ich gehe hinterher, bleibe ein wenig hinter ihm.
    »Er hat schon wieder einen eigenen Puls und einen Kreislauf. Es sieht nicht schlecht aus.«
    Die Frau sieht uns nicht an. Ohne etwas zu sagen, nickt sie leicht, kaum erkennbar. Ferdinand legt seine Hand auf ihre Schulter. Manchmal geht es besser ohne

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