Schneller als der Tod erlaubt. Ein Rettungssanitäter berichtet
»Hatten Sie denn Atemnot in den letzten Tagen?«
Der Mann schüttelt den Kopf.
Max hat sich an ein kleines Tischchen gesetzt, das hier im Raum steht, und füllt sein Protokoll aus. »Wie fühlen Sie sich denn jetzt?«
»Gut«, sagt der Mann. Er schaut noch ein paar Mal im Raum hin und her. Und setzt dann hinzu: »Eigentlich gut, aber noch ein wenig müde.«
»Frequenz, Ferdinand?«
»98.« Ferdinand dreht den Bildschirm des EKG s ein wenig in seine Richtung. Max schreibt.
»Noch eine?«, fragt Ferdinand und hält uns eine Ampulle Glucose entgegen.
»Ja, in die Infusion«, sagt Max.
Es schaut wirklich alles danach aus, als ob der Patient so weit wieder fit ist. Es wird wohl nur eine Notarztversorgung – kein Transport. Vermutlich wird Max gleich sagen: »Gehen Sie morgen zu Ihrem Hausarzt. Sollte diese Nacht noch etwas sein, dann rufen Sie noch einmal an.« Das Übliche, womit man sich nach einer Notarztversorgung verabschiedet, und in aller Regel kommt dann auch nichts mehr nach.
»Wir brauchen dann noch einen ›Fahrschein‹«, sagt Ferdinand. Der »Fahrschein«, die ärztliche Bestätigung für das Team auf dem Rettungswagen, dass der Einsatz gerechtfertigt war und mit der Krankenkasse abgerechnet werden kann. Und wenn ein Patient nicht transportiert wird, wenn wir nicht mit den Kollegen in die Klinik fahren, müssen sie diesen Zettel eben noch am Einsatzort bekommen. »Du kannst dann schon mal das Zeug runterbringen«, sagt Ferdinand zu seinem Kollegen und nickt in Richtung der blauen Sauerstofftasche und des Absauggerätes.
»Wir nehmen ihn mit«, sagt Max unerwartet. Wir schauen uns etwas überrascht an.
Okay, Max, was soll’s, es ist deine Entscheidung.
»Aber sonst durfte er immer zu Hause bleiben, wenn es ihm wieder besser ging«, moniert die Ehefrau.
»Wir nehmen Ihren Mann mit«, wiederholt Max bestimmt.
Ferdinand zuckt mit den Schultern und ruft seinem Kollegen hinterher: »Bereite unten die Trage vor.« Dann wendet er sich an die Ehefrau. »Packen Sie ihm ein paar Sachen ein? Zahnbürste, Schlafanzug, das Nötigste. Kann ja alles ein wenig dauern in der Klinik …« Er steht jetzt neben mir und raunt mir leiser zu: »… vor allem, wenn’s eigentlich gar kein richtiger Notfall ist.«
Max schaut in unsere Richtung. Vielleicht hat er was gehört? Aber er scheint nachzudenken, reibt sich mit den Händen über die Augen und das Gesicht. Der ist müde. »Und nehmt den Sitzwagen. Aufstehen kann er, aber er soll nicht bis zum Aufzug gehen.«
Als ich in das NEF einsteige, sind die anderen am Ende der Straße schon abgebogen. Ich drücke noch die Taste auf meinem Funkgerät, die der Leitstelle mitteilt, dass auch ich unterwegs ins Klinikum bin, dann schalte ich das Radio ein, nicht zu laut, ich muss ja alles Wichtige am Funk noch mitbekommen, französische Chansons, die leise die Motorgeräusche im Hintergrund begleiten.
Zwei Ampeln weiter treffe ich den Wagen der Kollegen wieder. Mit Patienten fährt man langsam und schonend, man kann sie leicht einholen, ohne sich groß zu beeilen. Es ist inzwischen fast dunkel geworden.
Ich denke an das Übergabegespräch im Krankenhaus: Vermutlich wundern sich nicht nur meine Kollegen, warum dieser Patient so spät am Abend unbedingt in die Klinik gebracht werden musste, sondern auch die in der Notaufnahme. Ärgerlich werden die Pfleger ihre Augen verdrehen, der Arzt in der Klinik seinen Notarztkollegen mit einem ironischen Kommentar verabschieden oder direkt kritisieren. Bestenfalls wird er nichts dazu sagen und gerade dadurch zeigen, dass er es für überflüssig hält, diesen Patienten in die Klinik zu bringen. Wer weiß. Vermutlich wird der Mann nicht sofort wieder nach Hause geschickt. Aber es ist fast schon eine ärgerliche Störung, wenn jemand zwar krank ist, aber ebenso gut am nächsten Tag noch zu seinem Arzt gehen könnte. Die Notaufnahmen sind von Jahr zu Jahr überfüllter, das Personal immer weniger.
Einmal zwängt sich auf der Fahrt jemand beim Spurwechsel zwischen uns, und die Kollegen vor mir schaffen es noch über eine Ampel, die vor mir rot wird. Ein paar Jugendliche am Straßenrand, die lachen und sich schubsen und dann vor mir über die Straße gehen. Und dann, gerade als es grün wird, ein Polizeiauto mit Blaulicht, das die Kreuzung vor mir überquert.
Zwei Querstraßen weiter, nach einer Kurve, steht der Rettungswagen rechts halb in einer Haltebucht, halb auf der Straße, der Warnblinker ist zum Absichern eingeschaltet.
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